Aus: GAMMA-Antifa-Newsflyer Nr. 180 – Oktober/Nov. 2007
Unverhofft kommt oft: im September eröffneten in Leipzig zwei neue Ladengeschäfte, in sich die örtliche Naziszene treffen und mit Klamotten eindecken kann. Zunächst präsentierte sich in der Volbedingstraße (nahe Berliner Brücke) im Stadtteil Mockau-Süd ein “Vereinshaus” namens “Aryan Brotherhood Germany” der Öffentlichkeit. Der Name wurde in Anlehnung an eine berüchtigte Gang US-amerikanischer Nazis gewählt, die sich in dortigen Knästen mit Auftragsmorden und Drogenschmuggel verdingt. Hinter dieser martialischen Legende steckt in Wirklichkeit eine Geschäftsidee des Betreibers des Wurzner “Front Records”-Versandes, Thomas Persdorf. In dem relativ versteckten Gewerbegebiet befindet sich im Erdgeschoss die von außen völlig unscheinbare Filiale mit einem Verkaufsraum, in dem T-Shirts aus Front-Records-eigener Produktion zu haben sind. Ferner gibt es eine Tresen und einen Trainingsraum. Es ist anzunehmen, dass Persdorf die nötigen Finanzen zur Anmietung der Räume vorgeschossen hat; außerdem ist er Betreiber und Inhaber der zugehörigen Website und Domain. Noch hat sich die selbsternannte “Bruderschaft” allerdings nicht in die lokale Naziszene integrieren können: zur “feierlichen Eröffnung” am 3. September blieben die Mitarbeiter des Ladens unter sich. Auch zwei nachfolgende “Partys” erzeugten keine Besucherströme.
Die weitere Entwicklung ist hier völlig offen, denn örtlich abgeschnitten von nennenswertem Publikum und eingemietet in einem unattraktiven, schwer zu findenden und einzusehenden Objekt wird auf der Ladentheke nicht viel los sein. Allerdings will man, und dies ist erneut ein eindeutiger Hinweis auf den kommerziellen Hintergrund, einen “Security”- und Ordnerdienst hochziehen, jedenfalls lassen sie sich über ihre Website als “AB Security” buchen.
Ein anderer Laden kann unterdessen mit mehr Umsatz rechnen: am Hallischen Tor/Ecke Richard-Wagner-Straße, eröffnete am 22. September unter dem Namen “Tønsberg” eine Filiale des rechtsextremen Modelabels “Thor Steinar”. Gleichnamige Ladengeschäfte führt Thor Steinar in Berlin am Alexanderplatz (wobei der Mietvertrag mittlerweile seitens der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte gekündigt wurde) und seit über einem Jahr auch am Dresdner Postplatz. Bereits zwei Tage vor der Eröffnung führten über 250 Antifaschisten eine Spontandemonstration durch, die am Laden, der erst wenige Stunden zuvor mit “eindeutiger” Ware beliefert wurde, vorbeiführte. Am selben Abend gingen Pressemeldungen zufolge sämtliche Scheiben zu Bruch, die Polizei bekam scheinbar nichts mit. Die nachfolgende Reihe erfolgreicher Aktionen rief freilich auch Nazis auf den Plan: Anlässlich einer angemeldeten Kundgebung der Jusos am 27. September versammelten sich im und vor dem Laden etwa 30 Nazis, unter denen sich auch FKL-Mitglieder wie Isztvan Repaczki und Hools wie Ricardo Sturm befanden. Nach einigem Geprolle und dem Vorzeigen einer Iran-Fahne verzog sich ein Großteil der Nazis zunächst hinter einen Imbiss. Als die Kundgebung gerade beendet werden sollte, stürmten teils vermummt und mit aufgesetzten Helmen hervor und versuchten, die Kundgebung anzugreifen, wichen aber der anwesenden Antifas und der eingreifenden Polizei zurück. Die beteiligten Nazis wurden anschließend nach ihren kontrolliert und einzeln abgefilmt; mit von der war auch der Delitzscher Nazikader Stefan Wagner. Dass es sich hier um einen ernsthaften Versuch handelte, die größtenteils bürgerlichen Teilnehmer der Kundgebung zu attackieren, gab anschließend Thomas Gerlach (“Ace”) in einem Artikel im “Freien Netz” zu verstehen: “Das Szenario ist Aktivisten aus Rostock bekannt und auch für Leipzig wird natürlich gelten, dass man keinen Schritt der linksfaschistischen Reaktion weichen wird!” Angespielt wird hierbei auf den Rostocker Thor-Steinar-Laden “East-Coast Corner”, um den es vor einigen Wochen ebenfalls gewaltsame Auseinandersetzungen gab. Der Erfolg dieser Taktik ist in Bezug auf Leipzig allerdings zweifelhaft – schon wenige Tage nach der Eröffnung war das “Tønsberg” von außen nicht mehr als Ladengeschäft erkennbar, vor die Schaufensterscheiben wurden massive Holzplatten montiert, auf die daraufhin auch noch Farbbeutel flogen. Weder die daueranwesende Polizei, die den Laden als “besonders gefährdetes Objekt” verstärkt bestreift noch der eigenes abgestellte “Schutz” durch Black Rainbow” und “L.E. Security” konnte den Aktionen gegen den Laden etwas entgegensetzen.
Das kann allerdings ebenso im Kalkül der Ladenbetreiber liegen. Die haben ihren Mietvertrag nämlich gleich über drei Jahre abgeschlossen – ungewöhnlich für ein Geschäft mit Innenstadtlage und ein Hinweis darauf, dass der Protest ausgesessen werden soll. Als Vermieter tritt die Berliner Immovaria Beteiligungen AG auf, die auch ein Büro in der Leipziger Prinz-Eugen-Straße führt. Die Immovaria ist im Besitz des Unternehmers Siegfried Axtmann, einem Hauptsponsor des FC Lokomotive Leipzig. Gegenüber der Presse gab Axtmann zu verstehen, dass es am Mietvertrag juristisch nichts zu rütteln gäbe. Wen man da in seiner Immobilie Geschäfte machen lässt, davon habe man vorher – natürlich – nichts gewusst…
Bisher waren “Thor Steinar”- und ähnlich einschlägige Klamotten nur im “Untergrund” in der Kolonnadenstraße, bei “Miss Liberty” und “Mc-Trend” in der City sowie im “Boombastic” im Grünauer Allee-Center zu bekommen. Ein eigener “Thor Steinar”-Store in so prominenter Lage ist ein Novum für Leipzig. Ebenso neu ist das offene Auftreten kameradschaft-ähnlichen Vereinigung wie “Aryan Brotherhood Germany” und die ebenso offene Nutzung eines Ladengeschäfts. Bedenklich ist, dass beide Neugründungen offenbar von einem genügend großen Klientel ausgehen, dass sich aus ihrem Sortiment bedienen will. Zumindest dem “Tønsberg” könnte durch seine Innenstadtlage wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein. – Natürlich nur, wenn nicht angemessen interveniert wird.