Das Leipziger Ladenschluss-Bündnis unterstützt die antifaschistische Demonstration und Partykundgebung: Wider den deutschen Zuständen – Für eine emanzipatorische Gesellschaft am 20. Juni 2009 – Freiberg – Bahnhof – 13 Uhr
Am 01. Mai 2009 marschierten über 350 Neonazis, sog. Freie Kräfte und Autonome Nationalisten, durch Freiberg. Unter dem Motto „Zukunft statt Kapitalismus – Freiheit statt BRD“ war die Demonstration als Alternative zu einem verbotenen Nazigroßaufmarsch in Hannover vom Dresdner Neonaziaktivisten Maik Müller beim Landratsamt Freiberg angemeldet worden.
Bereits einen Tag danach wurden die Verantwortlichen in der Presse gerügt, ihr Verhalten als Versagen interpretiert. Von allen Seiten wurden Vorschläge eingebracht, wie Naziaufmärsche in der Zukunft verhindert werden könnten. Der mediale Aufschrei beschränkte sich dabei aber auf den Imageschaden der Stadt und reduzierte das Problem auf eine „Informationspanne“. Das „Bündnis gegen Extremismus“ wurde aus dem zweijährigen Winterschlaf geweckt und in Zukunft soll ein „Frühwarnsystem“ eingerichtet werden, um Informationen besser koordinieren zu können. Denn darin waren sich Leserbriefschreiber_innen und Verwaltung einig: Die couragierte Masse der Freiberger_innen hätte sich den menschenverachtenden Ideologien der Neonazis entgegengestellt, wäre sie informiert gewesen.
Diese Einschätzung verkennt die Wirklichkeit einer Mehrheitsgesellschaft, die seit Jahren die Augen vor einer rechten Alltagskultur verschließt. Regelmäßig traten Nazis in den letzten Jahren in Freiberg in Erscheinung.(1) So marschierten am 07.Oktober 2006 50 Neonazis, darunter Landtagsabgeordnete der NPD, unbeachtet von Presse und Bürger_innen, durch die Bahnhofsvorstadt. Seit 2004 sitzt die NPD in Kreistag und Stadtrat. Seit 2007 pflegen Freiberger Nazis engen Kontakt zum Dresdner Neonaziaktivisten Maik Müller, organisierten Kundgebungen in Freiberg und störten antifaschistische Veranstaltungen. Am sog. Volkstrauertag gedenken Jahr für Jahr Amtsträger_innen der Stadt gemeinsam mit Nazis „deutschen Opfern“. Empörung darüber blieb und bleibt bis heute marginal und den antifaschistischen Gruppen vorbehalten. Dass in Gränitz, nur wenige Kilometer von Freiberg entfernt, der ehemalige NPD Vorsitzende und verurteilte Holocaustleugner Günther Deckert dabei ist, ein Nazizentrum zu errichten, spielt in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle.(2) Als bekannt wurde, dass der in Italien verurteilte NS-Kriegsverbrecher Alfred Concina unbehelligt in einem Freiberger Altenheim seinen Lebensabend fristet, hatten die Bürger_innen dafür Verständnis. Auch Übergriffe auf nicht-rechte Jugendliche und als ausländisch wahrgenommene Menschen sind in Freiberg keine Seltenheit, finden aber in Presse und Öffentlichkeit nur selten Beachtung.
In der Debatte um den Nazigroßaufmarsch fanden all diese Ereignisse keinerlei Erwähnung. Statt Kritik an menschenverachtenden Ideologien zu üben, geht es den Freiberger_innen vorrangig um das Image der Stadt. So werden die Nazis vor allem als gewaltbereite Extremist_innen dargestellt, der Fokus von der Inhalts- auf die Handlungsebene verschoben. Im gleichen Atemzug können so Rechte und Linke unter dem Konstrukt „Extremismus“ in einen Topf geschmissen und die Schnittmengen zwischen rechter Ideologie und der sog. „bürgerlichen Mitte“ verschleiert werden.
Dabei stoßen Nazis mit ihren Forderungen in der Mehrheitsgesellschaft keineswegs auf taube Ohren. Die Vorstellung der blutsmäßigen Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft ist im kollektiven Bewusstsein vieler Menschen verankert.
german identity
Während sich in anderen Staaten die vermeintliche Zugehörigkeit zur Nation über verfassungsmäßige Werte vermittelt, definiert sich „Deutschsein“ über „Kultur“, vor allem aber über „Abstammung“. Menschen, deren Vorfahren vor Jahrhunderten das Gebiet des späteren Deutschland verließen, gelten als deutsch, anderen Menschen werden hohe Hürden auferlegt, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. In den USA hingegen gilt jeder Mensch, der auf dem US-Territorium geboren wird, als Staatsbürger_in. Dabei ist eine deutsche „Abstammungsgemeinschaft“ bzw. ein „deutsches Volk“ ein auf rassistischen Denkweisen basierendes Konstrukt und nicht nur aufgrund massiver Migrationsbewegungen in der Geschichte nicht haltbar.
Identität wird aber auch durch Geschichtspolitik erzeugt. Die offiziellen Gedenkspektakel in diesem Jahr, nämlich „60 Jahre Grundgesetz“ und „20 Jahre friedliche Revolution in der DDR“ zeichnen ein Deutschland mit vermeintlich demokratischen Kontinuitäten, das aber ebenso herbeihalluziniert werden muss, wie der Wunsch des Großteils der DDR-Bevökerung nach einer freien Gesellschaft. Demokratische Verhältnisse mussten jedoch durch die alliierten Truppen gewaltsam erkämpft werden und vielen Demonstrant_innen ging es 1989 vor allem um Reisefreiheit, Bananen, Sexshops, Gebrauchtwagen und die Wiedervereinigung als „deutsches Volk“.(3)
Gerade in Zeiten der Krise gewinnt dieses Konstrukt an besorgniserregender Zustimmung und schafft kollektive Identität. Die Nation als Gemeinschaft wird dabei immer über die individuellen Bedürfnisse einzelner Menschen gestellt und kann nur durch Anpassung und Ausschluss anderer definiert werden. Im Inneren richtet sich der Volkszorn gegen Asylsuchende, gegen als ausländisch wahrgenommene Menschen, gegen Arbeitslose und sog. „Sozialschmarotzende“ und letzten Endes gegen jeden Menschen, der nicht ins kollektive Leitbild passt. Die Gesellschaft reagiert darauf mit Anpassungsdruck, wie Einbürgerungstests, weiteren Verschärfungen des Asylrechts, oder Arbeitszwang für Hartz-IV Empfangende. Die Mehrheit der Deutschen steht solchen autoritären Forderungen offen gegenüber und verlangt die völlige Unterordnung des einzelnen Menschen unter die Gemeinschaft.
capitalist society & antisemitism
Im Falle der Finanzkrise richtet sich die öffentlich Kritik vor allem gegen „gierige Manager“ und „Spekulanten“, die als Hauptverantwortliche für die aktuellen ökonomischen und sozialen Krisenerscheinungen ausgemacht werden. Eine solche Argumentation ist oft antisemitisch gefärbt. Da die Phänomene des Kapitalismus in ihrer Komplexität nicht erfasst werden, wie etwa die Ware und ihr Doppelcharakter von einem Gebrauchswert, als konkretem Teil und dem Tauschwert, als abstraktem Teil, kommt es gemeinhin zu einer Aufteilung des Kapitalismus und seiner Erscheinungen in einen konkreten, organischen Teil, das sog. „Industriekapital“ und einen abstrakten Teil, das sog. „Finanzkapital“. Bei den Nazis wird diese Trennung zum Gegensatz zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Die Ablehnung des Abstrakten und die Verherrlichung des Konkreten und Organischen als eine der Grundvoraussetzungen für den Antisemitismus bei den Nazis ist in zugespitzter Form dieselbe, wie im großen Teil der Gesellschaft, wenn nämlich oberflächliche Erscheinungen, wie etwa das „Finanzkapital“ als Quelle allen Übels ausgemacht werden. Kritik muss der Struktur der Gesellschaft auf den Grund gehen, welche aufgrund ihres schleierhaften Charakters unverstanden bleibt. Die kapitalistische Gesellschaft gründet auf dem Tausch von Waren und der damit verbundenen Art zu denken. Die Waren-tauschenden Menschen glauben aufgrund ihres Handelns, ein für den Tausch bestimmtes Produkt habe natürlicherweise einen Wert. Dass sich darin ein gesellschaftliches Verhältnis, nämlich das ihrer selbst erzeugten Unterwerfung ausdrückt, ist ihnen nicht bewusst. Die Warengesellschaft formiert sich „hinter den Rücken und über den Köpfen“ der Produzent_innen von Waren, d.h. fetischistisch: die Menschen im Kapitalismus werden politisch und ökonomisch von einem Zusammenhang beherrscht, der für sie selbst unverstanden bleibt.(4) Der Kapitalismus stellt sich somit als Herrschaftsverhältnis dar, in dem die Menschen gezwungen sind, ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen, also Lohnarbeit zu verrichten, sich in eine Konkurrenz um Arbeitsplätze zu begeben und Waren für den Markt zu produzieren. Dabei ist die Produktion nicht an der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse orientiert, sondern produziert, um Wert zu vermehren, welcher dann als Kapital wieder investiert wird. Denn ohne permanente Expansion würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Die aktuelle Finanzkrise ist nur die aufgeschobene Krisenerscheinung einer strukturellen Überproduktion, die mit dem Ende des sog. Fordismus begonnen hat und seitdem durch das Ausweichen an die Finanzmärkte immer wieder aufgeschoben wurde, da die realökonomisch fundierte Kapitalverwertung irgendwann an ihre Grenzen gestoßen ist.(5)
Der Kapitalismus ist allerdings nicht nur unvernünftig, sondern ein barbarischer Prozess ökonomischer und gesellschaftlicher Organisation, in dem der einzelne Mensch nicht mehr als ein Rädchen im System ist, dessen Bedürfnisse nur dann eine Rolle spielen, wenn sie der Kapitalverwertung dienen.
nazi lifestyle: more than fashion
Uns geht es darum, sich sowohl gegen den antisemitischen, rassistischen und nationalistischen Normalzustand, als auch gegen organisierte Nazistrukturen und rechten Lifestyle stark zu machen, was nur mit einer progressiven, seine Totalität umfassenden Kritik am Kapitalismus gelingen kann. Die Notwenigkeit, sich aktiv gegen Nazis und ihren Unterstützer_innen zu engagieren besteht fort, da diese leider immer noch eine konkrete Bedrohung für Leib und Leben von Menschen darstellen.
Am 20. Juni werden wir deshalb auch auf das Treiben von Tobias Schneider aufmerksam machen, der mit seinem Naziladen „Waffen- Army-Shoes“ aktiv dazu beiträgt, rassistische und nationalistische Ideologien in der Gesellschaft zu verfestigen. Im „Waffen-Army-Shoes“ finden sich eine Reihe von neonazistischen Devotionalien. Von T-Shirts, Aufnähern und Aufklebern mit rassistischen und geschichtsrevisionistischen Motiven wie „White Power“, „88“ (stellvertretend für ‚Heil Hitler‘), „Zyklon B“ über Logos von bekannten Neonazibands wie „Störkraft“ und „Landser“, findet sich alles, was das braune Herz begehrt. Den meisten Umsatz dürfte Schneider aber mit der Kleidungsmarke „Thor Steinar“ machen, deren Logo auch auf seinem Ladenschild prangt.(6) „Thor Steinar“ stellt bei Neonazis beliebte Pullover, T-Shirts, Jacken und weitere Accessoires her. Der Marke gelingt dabei die Synthese von aktuellen Modetrends und Motiven, die an völkische, nationalsozialistische, mythologische und kolonialistische Symbole anknüpfen. So findet man neben Aufdrucken von Runen, die auch im Nationalsozialismus Verwendung fanden, und den Namen nordischer Gottheiten, auch Namen von SS-Divisionen und Abbildungen von deutschen Kampfflugzeugen und der V2-Rakete. Durch modernes Design, mehrdeutige Aufdrucke und gute Verarbeitung ist es “Thor Steinar” gelungen, auch nicht-rechte Jugendliche als Käufer_innen zu gewinnen. Registriert wurde die Marke 2002 von Axel Kopelke. Seit 2003 wird sie durch die Firma „Mediatex GmbH“ vertrieben.
Der Geschäftsführung wurden von lokalen Antifaschist_innen Verbindungen zur rechten Szene nachgewiesen. Die Käufer_innen von einer Marke wie „Thor Steinar“ müssen sich bewusst werden, dass sie einer rassistischen und menschenverachtenden Ideologie Vorschub leisten und aktiv die rechte Szene unterstützen.
Tobias Schneider, der Inhaber des „Waffen Army Shoes“, gibt sich selbst gern als „braver und unpolitischer Geschäftsmann“. Den Verkauf von Neonazikleidung rechtfertigt er damit, dass er auch vermeintlich „linke“ Artikel, wie Che Guevara T-Shirts, verkaufe. Dass sich mittlerweile auch und vor allem Nazis mit dem Konterfei Che Guevaras schmücken, dürfte Schneider bekannt sein. Auf die Frage der Redaktion der alternativen Stadtzeitung „FreibÄrger“, ob er sich persönlich von der rechten Szene distanzieren könne, konnte er keine eindeutige Antwort geben und flüchtete sich in Ausreden. Selbst auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Landtag hin, listete das sächsische Innenministerium in seiner Antwort den Freiberger Laden von Schneider als „rechtsextremistisch“ auf. Aber auch andere Ereignisse lassen auf Schneiders rechte Gesinnung schließen. So prangt auf seinem Auto der Schriftzug „Zyklon B“ – Name des Giftstoffes, mit dem im Nationalsozialismus Millionen Menschen ermordet wurden.
Im Zuge des Schlossplatzumbaus wird das „Waffen Army Shoes“ von dort verschwinden und Schneider sich nach einem neuen Standort umsehen müssen. Unsere Forderung ist einfach: keinen (neuen) Raum für das Geschäft und seine menschenverachtende Propaganda. Nazis und ihr Lifestyle müssen als Problem wahrgenommen werden – nicht wegen des Imageschadens , sondern aufgrund der Inhalte, die er verbreitet.(7)
progress in mind[s]
Allerdings sind auch Naziläden nur Symptome falscher gesellschaftlicher Verhältnisse. Die stillschweigende Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft und deren Alltagsrassismus, deren Fetischdenken und deren Verwertungslogik sind der Nährboden, auf dem auch in Freiberg Nazis marschieren können, auf dem Menschen bedroht und zusammengeschlagen und Asylsuchende abgeschoben werden. Ohne Kritik am Normalbetrieb können wir das Problem menschenverachtender Naziideologien nicht erfassen.
Das Glücksversprechen einer freien Gesellschaft hingegen, kann nur jenseits kapitalistischer Verwertung erfüllt werden. Dabei geht es uns letztendlich um eine solidarische Welt, die frei ist von Rassismus und Antisemitismus, frei von Sexismus und anderer Diskriminierung jeder Art, frei von Zwang und Autorität und die es jedem und jeder Einzelnen ermöglicht, aus Zwangskollektiven jeglicher Art auszubrechen, um ohne Angst verschieden sein zu können.
Antifaschistische Gruppe Freiberg , Mai 2009