Das Ladenschluss-Bündnis ruft auf für Dienstag, 30. Juni: den Abgang des „Tönsberg“ feiern und jedweder Form von Rassismus, Antisemitismus und Nazismus entgegentreten. Jubel-Demonstration 19:00 ab Willy-Brandt-Platz zum Lindenauer Markt – in Kooperation mit dem Antifaschistischen Netzwerk Leipzig-West und Global Space Odyssey 2009
INTRO
Zum 30. Juni wird der Thor Steinar Laden „Tönsberg“ in der Leipziger Richard Wagner Straße endgültig geschlossen. Nach monatelanger Gerichtsverhandlung haben sich hierauf die Mediatex GmbH, der Betreiber von Thor Steinar und der Hauseigentümer die Immobilienfirma Immovaria GmbH geeinigt. Das Ende des „Tönsberg“ ist weniger ein juristischer, sondern viel mehr ein gesellschaftlich-politisch erkämpfter Erfolg und natürlich auch ein Tag zum Feiern!
Tönsberg, Thor Steinar, da war doch was?!
Bereits zur Eröffnung des Geschäftes im September 2007 demonstrierten dutzende Menschen gegen den Verkauf und Konsum von Nazidevotionalien wie sie typisch für Thor Steinar sind. Immer wieder wurde der Laden zum Treffpunkt von AntifaschistInnen. Beinahe wöchentlich gab es Kundgebungen, wurden Flyer verteilt und Konzerte direkt vor dem „Tönsberg“ veranstaltet. Den vorläufigen Höhepunkt der Proteste bildete eine breit angelegte Demonstration von mehr als 2000 Menschen am 3. Oktober 2007. Es gelang eine große Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Thor Steinar, eine Marke welche von verschiedenen Verfassungsschutzbehörden als Identitätsmerkmal der Neonaziszene bezeichnet wird, wurde spätestens nun auch in Leipzig kritisch reflektiert. Das Bündnis „Ladenschluss – Aktionsbündnis gegen Nazis“, bestehend aus verschiedenen antifaschistischen Initiativen und Einzelpersonen forderte immer wieder Stellungnahmen und Auseinandersetzung zu und über Nazis von Stadt und Gesellschaft ein. So trugen die Aktivitäten des Bündnis gehörig dazu bei, dass sich Stadt, Öffentlichkeit und Medien sowie schlussendlich auch die Immovaria GmbH und Gerichte dem Problem annahmen. Weiterhin versuchte das Ladenschlussbündnis den Verkauf von Thor Steinar zu behindern, als auch das Verwenden der Marke zu skandalisieren. Diese Strategie verlief durchaus erfolgreich: Eine Aktionswoche zu Leipziger Geschäften welche Thor Steinar anboten, endete mit dem Verzicht auf eine weitere Verkaufsabsicht seitens einiger Betreiber, die Leipziger Moritzbastei untersagte es ihren Gästen Thor Steinar Klamotten zu tragen. Im Rahmen dieser Aktionen machte das Bündnis aber deutlich, dass der Fokus der Kritik nicht alleine die Marke beinhalten kann, sondern viel mehr gilt es Ungleichwertigkeitsideologien, wie Rassismus und Antisemitismus konsequent zu bekämpfen. Thor Steinar steht symbolisch für das Vorrücken jener nazistischer, diskriminierender Ideologien in die so genannte Mitte der Gesellschaft. Die Filialen mit Namen „Tönsberg“, „Narvik“ und „Oesberg“ sind eben nicht am Rand der Städte, sondern in deren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zentren lokalisiert. Thor Steinar bietet die perfekte Mischung aus völkischem Inhalt und modisch-peppigen Outfit bzw. aus Nationalsozialismus und Outdoor-Marketing. Die Mediatex GmbH startete eine Offensive mit dem Ziel der Öffnung dutzender Läden bundesweit. Neben Leipzig eröffneten Filialen in Magdeburg, Berlin, Dresden und weiteren Städten. Immer wieder zeichnete sich ein ähnliches Bild: Die Hauseigentümer gaben an, sie seien über die Absicht Thor Steinar zu verkaufen „arglistig getäuscht“ worden. In Wirklichkeit störte sie vor allem der zu erwartende wirtschaftliche Schaden durch ein negatives Image sowie der Protest anderer Anlieger, welche ebenso auf Grund von Demonstrationen und Aktionen gegen die Thor Steinar Läden mit Einnahmeverlusten und Kundenrückgängen rechnen mussten. Die Folgen waren Räumungsaufforderungen, welche meist nur nach langen Gerichtsverfahren ein mehr oder weniger erfolgreiches Ende fanden. In all diesen Städten gingen aber auch immer wieder Menschen auf die Straße und protestierten gegen Thor Steinar sowie generelle faschistische Tendenzen und Strukturen. Ebenso kam es zu kreativen Aktionen gegen die Geschäfte, so dass diese meist schnell ihr tristes weiß-grau und durchsichtiges Aussehen verloren. Ohne die antifaschistischen Proteste und ohne Aufklärung über Thor Steinar und deren ideelle wie auch praktische und logistische Verknüpfung mit der Neonaziszene, wäre sicherlich keine breite kritische Öffentlichkeit entstanden. Nachdem nun das „Tönsberg“ in Leipzig schließen muss, haben sich im knapp 30km entfernten Halle neue Räumlichkeiten für den Betreiber gefunden. Im oberen Boulevard der Halleschen Innenstadt eröffnete im Juni 2009 das „Tönsberg“ als „Oesberg“ neu. Auch hier formierte sich bereits Protest, so dass die Eröffnung von mehreren hundert Menschen kritisch begleitet wurde. Juristisch wird man hier jedoch wenig erwarten dürfen: Der Immobilieneigentümer wurde weder „arglistig getäuscht“, noch scheint sich der Wille zur Räumung bemerkbar zu machen.
Nicht nur Thor Steinar….
So wichtig wie es ist gegen Thor Steinar zu protestieren, so wichtig ist es aber auch hier den Blick zu erweitern. Weder ist die Marke die einzige problematische Utensilie von und für die neonazistische Szene, noch bedeutet einzig der Protest gegen Thor Steinar das Eintreten für eine Gesellschaft ohne Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung. Es gibt in Sachsen und bundesweit dutzende andere Mailorder, Marken und Strukturen welche tagtäglich Nazistuff verbreiten und damit Millionen umsetzen. Sie alle verdienen es fokussiert, kritisiert und angegriffen zu werden. Die Neonaziszene besitzt wie jede andere Subkultur eine eigene Erlebniswelt, mit eigenen Codes, Inhalten, Musik und Outfits. Damit entsteht zugleich eine bedrohliche Situation und gewalttätige Atmosphäre für nicht-rechte Menschen sowie Personen welche als „fremd“ und nicht dazugehörig erachtet werden – Alltag in vielen kleineren und mittleren Städten Sachsens und anderen Bundesländern. Dabei ist es auch unsinnig seine Fokussierung lediglich auf die Neonazis zu beschränken. Das gewalttätige Auftreten und die zahlreichen Übergriffe gedeihen besonders gut in einer Gesellschaft, in der rassistische, nazistische Schläger und Mörder auf eine breite Zustimmung der übrigen Bürger hoffen und zählen können. Die Täter werden meist, wie etwa im sächsichen Mügeln als heimische Jungs interpretiert und dementsprechend auch in Schutz genommen. Schuld am desolaten Zustand seien vielmehr Medien, MigrantInnen und linke Jugendliche welche als Störenfriede der dörflichen oder städtischen Gemeinschaft gelten.
Alles Extremismus oder was??
Die Sichtweise auf Nazis unterliegt in Deutschland meist einem Denken, wonach eine gesellschaftlich konstruierte Mitte, welche freilich demokratisch, weltoffen und friedlich sei, von gefährlichen linken und rechten Rändern bedroht werde, den so genannten Extremisten. Polizei und Justiz agieren nach diesem Modell. So tauchen viele rassistische und antisemitische Vorfälle gar nicht erst in den Statistiken auf, weil sie nicht von einschlägig bekannten Nazis begangen wurden.
Schlimmer noch ist das unsägliche Gleichsetzen von antifaschistischer Arbeit, so auch Protesten gegen Thor Steinar, mit dem Auftreten nazistischer Schläger sowie deren menschenverachtender Ideologie. Der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo gab beispielsweise bekannt, dass das Problem in Leipzig neben gewalttätigen Ausländern, Rechtsextremisten auch gewaltbereite Linke betreffe. Gemeint sind dabei letztendlich auch die zahlreichen erfolgreichen Proteste gegen die vom Neonazi Christian Worch organisierten Aufmärsche in den frühen 2000er Jahren. Wer ohne inhaltlicher Auseinandersetzung einzig Gewalt skandalisiert verliert nicht nur den Blick für Rassismus und Antisemitismus sowie genereller Diskriminierung von Menschen, gerade auch unter gesellschaftlichen Mehrheiten, der ist auch unfähig eine Gesellschaft im Zeichen von Emanzipation und Humanismus einzufordern.
Aus Naziläden Tanzschuppen
Unsere Demonstration möchte daher symbolisch zeigen, dass das Ende vom „Tönsberg“ nicht zum Ausruhen anregen soll. Im Stadtteil Lindenau eröffnete die NPD im Herbst 2008 ein nationales Zentrum, offiziell als „Bürgerbüro“ bezeichnet. Die Partei erhofft sich dabei eine noch bessere Verankerung in der Leipziger Politik sowie eine logistische Plattform für die parteiübergreifende Zusammenarbeit aller Nazis in der Stadt. Längst haben sich Freie Kräfte, NPD und JN zusammen getan und versuchen den politischen Alltag in der Stadt zu prägen. Die Folgen sind überall spürbar: Kaum ein Stadtteil ohne Übergriffe auf nicht-rechte Menschen und/oder Anschläge auf Feindbilder wie beispielsweise das Fanprojekt „Fischladen“, das „Linxxnet“, den Buchladen „El Libro“ oder das Grünauer Kommhaus. Weiterhin werden Menschen von den Nazis bedroht und angegriffen z.B. in Grünau und Reudnitz. Auch in Lindenau kam es seit der Eröffnung zu verschiedenen Vorfällen. So wurden auch hier mehrfach Personen angegriffen und/oder bedroht, allesamt mit der Forderung nichts gegen das nationale Zentrum zu unternehmen. Auch der Einzug zweier NPD Abgeordnete in den Stadtrat reiht sich hier ein. Erfreulicherweise haben sich aber auch in Lindenau Menschen zusammen getan und von Anfang an gegen die Präsenz der Nazis demonstriert. Es gab mehrere Kundgebungen auf dem Lindenauer Markt, auch mit Unterstützung durch die kulturelle Szene wie z.B. das Theater der Jungen Welt. Weiterhin haben AntifaschistInnen dutzende Male ihren Unmut vor dem NPD Zentrum Ausdruck verliehen. Hier gilt es konsequent den Widerstand und die Kritik fortzusetzen bis zur endgültigen Schließung des Nazi-Zentrums und natürlich auch darüber hinaus!
OUTRO
Auch in Zukunft wollen wir uns als Ladenschlussbündnis dem Protest und Wirken gegen jedwede Form von Rassismus, Antisemitismus und Nazismus anschließen. Unser Ziel ist und bleibt eine emanzipatorische und humanistische Gesellschaft zu erlangen oder wenigstens dieser stückweise näher zu kommen.
Es bleibt also dabei: Viel zu tun für AntifaschistInnen in Leipzig und anderswo. Seien wir laut, seien wir kraftvoll, machen wir aus Naziläden Tanzschuppen!