Während des Kongresses des „Chaos Computer Clubs“ im Dezember 2009 wurden einschlägige Neonazi-Webseiten gehackt – darunter auch ein Flirtportal und die Online-Datenbank der bei Neonazis beliebten Modemarke „Thor Steinar“. Jahresumsätze, Fotos und Nicknames zeigen die Abgründe des Neonazisumpfes. Doch wie werden die Daten interpretiert?
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, 5.1.2010, von Nora Winter
„Da ist der hässliche Club schon wieder“, schreibt ein User im Neonaziforum „Thiazi“. Mit dem „hässlichen Club“ meint er den „Chaos Computer Club“. Dieser trifft sich jährlich zwischen Weihnachten und Neujahr zu einem Kongress. Dieser ist auch Anlass für viele Hackerinnen und Hacker, um öffentlichkeitswirksam zu zeigen, wie unsicher das World Wide Web sein kann. Besonders gern werden Server von Neonaziwebseiten geknackt. Dieses Mal mussten unter anderem eine Singlebörse und der Onlinehandel der Bekleidungsmarke „Thor Steinar“ dran glauben.
Stolze Neonazis in Unterhosen
Die Fotos der Singlebörse offenbaren die krude Welt der Neonazis. Stolz präsentieren sich die Kameradinnen und Kameraden mit Waffen oder vor ihren Hakenkreuzflaggen. Wenn es nicht so erschreckend wäre, könnte man glatt darüber schmunzeln, wie beispielsweise zwei vermummte Neonazis in rosa Söckchen vor einer Ian Stuart Fahne stehen. Namentlich und per Foto zu wissen, wer bekennende Neonazis sind, ist für ein aufklärerisches Engagement sicherlich sehr nützlich. Auch die Umsatzzahlen von „Thor Steinar“ sind interessant. Allein im Jahr 2008 gingen Bestellungen im Wert von ca. 1,8 Mio. Euro ein. Somit wird klar, in welchen Größenordnungen hier gerechnet werden muss. Doch der konkrete Gewinn der Bekleidungsfirma bleibt trotzdem ungewiss. Auch die nicht online getätigten Umsätze der in vielen Städten eröffneten „Thor Steinar“-Filialen bleiben weiterhin unbekannt.
„Da steh’n drei Nazis auf dem Hügel…“
Problematisch wird es, wenn Daten unvorsichtig interpretiert werden. Kurz nach der Veröffentlichung der Datenbank mit den Adressen von Kundinnen und Kunden wurde eine Landkarte mit der Verteilung der Postleitzahlen der Bestellerinnen und Besteller relativ zur Bevölkerung gepostet. Tief rot eingefärbt ist der Osten der Republik. Das führte dazu, dass noch einmal die weit verbreitete Ansicht bestätigt wurde, dass Neonazismus vor allem ein Problem der neuen Bundesländer sei. Doch die von Vielen in Medienberichten übernommene Darstellung hat weder eine Legende mit absoluten Zahlen noch wird eine Berechnungsgrundlage bekanntgegeben.
Es ist daran zu denken, dass in den neuen Bundesländern das Problem besteht, dass viele Menschen wegziehen, da sie hier keine Zukunft mehr für sich sehen. Das führt dann auch zu Liedzeilen wie „Da steh’n drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln“ wie in Rainald Grebes Lied „Brandenburg“. Doch nur weil „Nicht-Nazis“ in urbanere Gebiete oder den Westen wegziehen, heißt das nicht, dass eine organisierte Neonaziszene oder ein latenter Rassismus in den alten Bundesländern kaum vorhanden ist.
Daten sind das, was man draus macht
„Thor Steinar“ ist eine Bekleidungsmarke mit subtiler Nazisymbolik und liegt bei Neonazis im Trend. In den alten Bundesländern gibt es nur in Essen und Nürnberg „Thor Steinar“-Läden, während die anderen fünf in den östlichen Bundesländern verteilt sind. „Die Marke kann aber nicht als alleiniger Indikator für neonazistische Einstellungen herhalten“, sagt Juliane Nagel vom Bündnis Ladenschluss in Leipzig dazu. „Sie zeigt eher die Dominanz einer jugendkulturell geprägten Neonaziszene“. So lässt sich über die Art der Organisation von Neonazis durch die Verkaufsverteilung schließen, auf die Verteilung von Rassismus oder Antisemitismus kommt man dadurch aber nicht. Und diese sind die eigentlichen Probleme, mit der sich eine demokratische Gesellschaft auseinandersetzen muss. Insofern kann man sich über die Veröffentlichung der Daten durch die Hackerinnen und Hacker freuen. Doch wie sie interpretiert werden und was man mit ihnen macht, ist eine andere Sache.