Die Kamenzer Straße 10/12 im Verfassungsschutzbericht 2018

Mitte Mai 2019 wurde der sächsische Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 vorgestellt. In diesem findet auch die Kamenzer Straße in Leipzig-Schönefeld Beachtung. Allerdings nicht, wie mit Blick auf dort ansässige Neonazi-Strukturen eigentlich zu vermuten wäre, unter dem Bereich “Rechtsextremismus“, sondern ausschließlich im Kapitel zu “Linksextremismus”. Dort widmet sich der Verfassungsschutz (VS) in einem Abschnitt den dort durchgeführten Protesten gegen den Neonazitreff im ehemaligen KZ-Außenlager. Hier stellt der VS zwar fest, dass das „Gebäude (…) auch von Rechtsextremisten als Treff-und Trainingsort genutzt“ werde, doch anstatt die Nutzung eines historisch derart belasteten Ortes durch organisierte Neonazis zu skandalisieren, wird von einem Protest gegen „die Nutzung des Objektes durch tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten“ gesprochen, der von sogenannten “Linksextremisten” als Sprungbrett zur Selbstetablierung genutzt werde.

Diese Ausführungen könnten nun zur Annahme verleiten, dass die Kamenzer Straße 10/12 und die den Gebäudekomplex nutzenden neonazistischen AkteurInnen und Gruppierungen möglicherweise auch in der Rubrik ““Rechtsextremismus” zu finden sind. Aber: Fehlanzeige. Weder der Ort und seine Bedeutung als wichtiger Treffpunkt gewalttätiger Neonazis, noch die dort verkehrenden Gruppierungen werden dort aufgeführt.
Führt man sich hier noch einmal vor Augen, dass der Gebäudekomplex seit mehr als 10 Jahren von bekannten organisierten Neonazis genutzt wird, wird das Desinteresse des Verfassungsschutzes an Neonazistrukturen einmal wieder offensichtlich. Anstatt auf das Gewaltpotential neonazistischer KampfsportlerInnen hinzuweisen, werden diese konsequent nicht erwähnt, sondern im Gegenteil (wie auch schon im VS-Bericht 2017) das Vorgehen gegen diese als „extremistisch“ verurteilt. Denn weder bei der Aufarbeitung des Angriffs auf Connewitz 2016, noch in Bezug auf die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 wurden die Verstrickungen zwischen organisierten Neonazis und dem Imperium Fighting Team auch nur erwähnt.
Hier wird das Gefahrenpotential, das von gewalttätigen Neonazis und ihren Strukturen ausgeht, erneut vom sächsischen Verfassungsschutz verharmlost und der Protest gegen diese als extremistisch diffamiert, was auch als einer von vielen Puzzlesteinen in der Normalisierung rechter Strukturen gesehen werden kann.
An anderer Stelle im Bericht wird zudem auf ein Konzert mit Neonazibands am 13. Januar 2018 in Leipzig verwiesen, das im Vorfeld durch die Polizei verhindert wurde. Der beigefügte Hinweis, dass „vor Ort (…) ca. 70 Personen festgestellt“ worden seien, gibt an dieser Stelle keine Auskunft über den eigentlichen Veranstaltungsort. Aus anderen Quellen ist zugleich bekannt, dass es sich hierbei sehr wahrscheinlich um die Kamenzer Straße handelte. Aus einer Antwort der Stadt Leipzig auf eine schriftliche Anfrage zur Nutzung der Kamenzer Straße 10/12 zu Veranstaltungszwecken geht hervor:
„Zudem wurde dem Ordnungsamt auf Anfrage durch die Polizeidirektion Leipzig bekannt gemacht, dass am 13.01.2018 durch die Polizei eine geplante rechtsextremistische Konzertveranstaltung in der Kamenzer Straße 10-12 im Vorfeld unterbunden wurde.“<a


Hier stellt sich die Frage, ob diese Information bewusst nicht vom VS erwähnt wurde, beziehen wir uns an dieser Stelle doch auf eine öffentlich zugängliche Information. Hier überkommt uns der Eindruck, dass die neonazistischen Umtriebe in der Kamenzer Straße nicht nur verharmlost, sondern bewusst ausgespart werden.

Vor kurzem wurde auch ein weiterer Vorfall, der in eine ähnliche Kerbe schlägt, bekannt: Neonazis mieteten sich 2017 für zwei Veranstaltungen in einem Leipziger Kleingartenverein ein. Im Nachhinein wurde bekannt, dass der Vorstand dieses Vereins die zweite Veranstaltung nicht zusagen wollte und diese schließlich dann auf Bitte des VS zusagte, welcher wiederum die Veranstaltung begleiten wollte.² Im Verfassungsschutzbericht 2017 ist jedoch nur von dem erwähnten Konzert die Rede, nicht jedoch von einem Zeitzeugenvortrag, obwohl dieser der Behörde bekannt gewesen sein müsste.
Durch das Bild, das der Verfassungsschutz hier wieder einmal von sich selbst zeichnet, stellt sich uns die Frage, wen diese Behörde eigentlich schützen soll bzw. will, wenn sie Informationen über organisierte, gewalttätige Neonazis bewusst zurückhält. Die einzige sinnvolle Konsequenz, die sich hieraus ziehen lässt, besteht in einer Auflösung des Verfassungsschutzes.

1 ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDN…
2 www.neues-deutschland.de/artikel/111816…

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