Bundesverwaltungsgericht bestätigt Verbot von “Collegium Humanum” und “Bauernhilfe”. Der „Gedächtnisstätte e.V.“, derzeit in Borna ansässig, bleibt unberührt
Quelle: http://www.kerstin-koeditz.de, 9-8-2009
Wenn das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung zu fällen hat, so erfahre ich bei der Verhandlung am Mittwoch, den 5. August August, dann findet dort vorher kein Prozess statt, sondern ein Rechtsgespräch. Ein Rechtsgespräch, bei dem der Vorsitzende Richter den Anwälten der Prozessbeteiligten, in diesem Fall dem der Bundesregierung, Prof. Pohle, und dem der verbotenen Vereine “Collegium Humanum e.V.” und Bauernhilfe e.V.”, Klaus Kunze (Uslar), erst die Gelegenheit zur Darstellung ihrer Positionen gibt und ihnen dann anschließend Fragen stellt. Gewünscht sind ausschließlich Ergänzungen und Vertiefungen zu wem, was bereits zuvor in Schriftsätzen ausgebreitet worden ist. Das Frage-und-Antwort-Spiel erstreckt sich über vier Stunden bevor sich das Gericht zu Beratung zurückzieht.
Eigentlich hat Ursula Haverbeck-Wetzel aus Vlotho, die Vorsitzende der beiden im Mai 2008 durch den Innenminister verbotenen Vereine, bei diesem Procedere nichts zu sagen. Und trotzdem: wenn sie in einem Gerichtssaal auftaucht, dann ist Polarisierung angesagt. Draußen vor dem Gericht protestieren einige Dutzend vorwiegend jüngere Menschen gegen Holocaustleugnung, Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus. Drinnen füllen ebenfalls mehrere Dutzend Menschen zu ihrer Unterstützung die Zuschauerreihen. Die rüstige Greisin ist im Lager der extremen Rechten so etwas wie eine Ikone. Mehrfach ist sie bereits persönlich wegen einschlägiger Delikte verurteilt worden, zuletzt wegen Beleidigung der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch. Neben den beiden an diesem Tag zur Debatte stehenden Vereinen hatte sie einen weiteren initiiert, dessen Ziel bereits im Namen deutlich wird: “Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten”.
Sie genießt den Trubel um ihre Person offensichtlich. Sie verweigert sich keinem Interview, grüßt freundlich lächelnd in die Zuschauerreihen. Dort sitzen ihre Verbündeten. Eine Reihe von NPD-Funktionären und –Kommunalpolitikern hat sich eingefunden. Unter ihnen Marcus Müller (Mutzschen), der Vorsitzende der NPD im Landkreis Leipzig. Er kandidiert für die Neonazis ebenso zum Landtag wie Peter Köppe (Pomßen), der sich stets als “Leiter der Gedächtnisstätte” vorstellt. Gemeint ist das Domizil des “Vereins Gedächtnisstätte e.V.” in der Röthaer Straße in Borna.
Auch dieser Verein gehört zum Organisationsgeflecht von Ursula Haverbeck. Sein Ziel ist weniger die Leugnung des Holocaust, sondern die Umdeutung der Geschichte in einem anderen Bereich. Bei ihm geht es hauptsächlich darum, im Zusammenhang mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg die Deutschen aus der Täterrolle in die des eigentlichen Opfers zu bekommen. Peter Köppe, ein ehemaliges Landesvorstandsmitglied der DSU, ist dort seit Herbst 2008 führend tätig. “Weißt du denn etwas über den Stand Borna”, fragt hinter mir eine ältere Frau, die sich später immer wieder über den Vertreter der Bundesregierung echauffiert. “Ich habe nur eine Bestätigung von Köppe gekriegt”, erwidert der Senior direkt neben ihr. “Es wird verkauft.” “Der Limmer geht es doch nur ums Geld”, stellt seine Gesprächspartnerin spürbar sauer fest. “Die Limmer” ist die Schauspielerin Gisela Limmer von Massow (Meerbusch), die Alleineigentümerin des Anwesens. Sie ist tatsächlich gerade dabei ein Bombengeschäft zu machen. Für weniger als 100.000 Euro hatte ihr Mann, der inzwischen verstorbene Architekt Ludwig Limmer, das frühere Verwaltungsgebäude des Braunkohlekombinats ersteigert, für mehrere 100.000 Euro geht es dem Vernehmen nach nunmehr an eine Firma, die dort ein Alten- und Pflegeheim errichten will.
Dort ist momentan noch Thomas Gerlach (Altenburg) als Hausmeister tätig. Auch er befindet sich mit etlichen seiner Kameraden unter den Zuschauern. Gerlach ist einer der Köpfe des so genannten “Freien Netzes”, einer Neonazi-Struktur, die in mehreren ostdeutschen Bundesländern aktiv ist. Zwischen seinen Jungnazis und den alten Anhängern Haverbecks gibt es auch außerhalb des Gerichtssaals ein enges Verhältnis. Tony Keil, Bornaer Führer des “Freien Netzes” und für die NPD Stadtrat in der Kreisstadt, gab bei seiner Kandidatur die “Gedächtnisstätte” als Adresse an. Der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, ebenfalls führend in mehreren der Haverbeck-Vereine tätig, führt in der Gedächtnisstätte monatlich Seminare zur Schulung des Neonazi-Nachwuchses durch.
Er fehlt an diesem Mittwoch im Gericht. Links neben Ursula Haverbeck hat Arnold Höfs (Springe) Platz genommen. Er ist als Schatzmeister der “Bauernhilfe” anwesend. Er hat im Dezember 2006 an der Holocaustleugner-Konferenz in Teheran teilgenommen und ist bereits einschlägig verurteilt. Rechts neben ihr sitzt in Anwaltsrobe Klaus Kunze (Uslar), ein ehemaliger Polizeibeamter, der nach Mitgliedschaften in CDU und FDP mehrere Jahre führender Funktionär der REPublikaner in Niedersachsen war. Er ist nicht nur immer wieder anwaltlich für diverse Neonazis tätig, sondern entwickelt außerdem Ehrgeiz, als Ideologieproduzent in diesen Kreisen anerkannt zu werden. Davon sprechen zahllose Auftritte als Referent, mehrere Buchveröffentlichungen und Aufsätze in Sammelbänden. Für ihn steht außer Frage, dass eine “Systemüberwindung” mittels “gezielten Tabubruchs” notwendig sei. “Er ist der erste Schritt zur notwendigen Umwertung der Werte. Diese beginnt mit dem gezielten Lächerlichmachen der gegnerischen Ideologeme, soweit diese nicht angeeignet und umgepolt werden können, wie z.B. das Demokratieprinzip.”, schrieb er 1995.
Eine solche “Aneignung” und “Umpolung” hatte er auch als Prozessstrategie gewählt. Immer wieder insistierte er darauf, dass sich seine Mandanten auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könnten. Ersatzweise ergänzte er vorsorglich in diesem speziellen Fall um die Religionsfreiheit. Man müsse den “metaphysischen Hintergrund” der Äußerungen seiner Mandanten beachten, forderte er. Es handele sich bei ihnen um Anthroposophen, was für die Betrachtung wesentlich sei. Bei diesen würden eben nicht nur die manifesten Tatsachen betrachtet, sondern zugleich auch die spirituellen Wurzeln der Ereignisse. “Da schwirrt dann auch Hegels Weltgeist umher”, ergänzte er, als ob er als mildernden Umstand vorbringen wollte, dass seine Mandanten nicht alle Tassen im Schrank hätten.
Man müsse deren Aussagen nur mit der richtigen Betonung lesen. Diese wollten gar nicht sagen: “Den Holocaust hat es nicht gegeben”, sondern vielmehr “Den Holocaust hat es nicht gegeben”. Eben jenen Holocaust, so wie er in den Geschichtsbüchern steht. Jenen Holocaust als geplante industrielle Massenvernichtung. Völlig überzeugt schien selbst er nicht von seinen Darlegungen.
Ursula Haverbeck war all dies viel zu defensiv. Immer wieder hatte sie im Verlauf des Prozesses Klartext reden wollen. Zum Schluss erhielt sie die Gelegenheit. Zu diesem Zeitpunkt war jedem Beobachter bereits klar, dass das Bundesverwaltungsgericht die Verbote bestätigen würde. Anderenfalls hätte sie spätestens mit ihrem leidenschaftlich vorgetragenen Plädoyer in eigener Sache dafür gesorgt, dass eben diese Sache an diesem Tag tatsächlich verloren war. Man leugne doch gar nicht, argumentierte sie, sondern sei lediglich auf der Suche nach der Wahrheit. Es gehe um die Freiheit und gegen Denk- und Redeverbote. Natürlich könne man das Wort Holocaust berechtigt benutzen, erläuterte sie, z.B. für den “Baby-Holocaust” durch Abtreibung, vor allem aber für die “Ermordung von zweieinhalb Millionen Heimatvertriebenen” nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Anhängerschaft im Saal belohnte die Ausführungen erleichtert mit Beifall. Endlich war Klartext geredet worden.
Den Zuschauern, die nicht auf Haverbecks Seite standen, hatte es vor so viel Frechheit die Sprache verschlagen. Nicht so dem Prozessvertreter der Bundesregierung. Er brachte die Dinge kurz und bündig auf den Punkt. Es gehe den beiden Vereinen gar nicht um die Suche nach historischer Wahrheit. Ihre Wahrheit stehe längst fest, sie suchten nur nach immer weiteren Belegen, die diese scheinbar untermauerten. Das sahen die Richter nicht anders und bestätigten das Verbot.
Eine erwartete Niederlage für die Holocaustleugner also. Was aber ist durch das Verbot der Vereine tatsächlich erreicht worden. Dieter Kuhlmann von der Kulturinitiative Detmold, der seit Jahren gegen das “Collegium Humanum” aktiv gewesen ist, äußert sich skeptisch: “Denn Verbote neonazistischer Organisationen sind eine schwierige Sache, dienen sie doch oft genug eher dazu, die Bevölkerung zu beruhigen und von der Handlungsfähigkeit staatlicher Organisationen zu überzeugen. Komplett unsinnig werden sie jedoch, wenn die Verbote nicht konsequent um- beziehungsweise durchgesetzt werden.”
Natürlich leiden die betreffenden Vereine unter dem Verlust der Räumlichkeiten in Vlotho, die ihnen über 40 Jahre zur Verfügung gestanden hatten. Doch “entscheidend getroffen” seien diese damit nicht, meint Dieter Kuhlmann. Einerseits könnten sie weiterhin vorläufig die “Gedächtnisstätte” in Borna nutzen, ein Tagungshaus, das laut Kuhlmann mehr als dreimal so groß wie das geschlossene “Collegium Humanum” sei. Mit der “Stimme des Reiches”, dem faktischen Nachfolgeblatt des früheren Vereinsorgans “Lebenschutz-Informationen”, verfügten sie weiter über eine eigene Publikation und mit den Lesertreffen dieser Zeitschrift über eine funktionierende Kontaktbörse, über die der Zusammenhalt der verbotenen Vereine gewährleistet werden könne. “Ein solches Verbot, das weder kontrolliert noch beim Verstoß geahndet wird, ist kontraproduktiv und führt eher dazu, dass die Neonazis sich mächtig fühlen”, fasst Dieter Kuhlmann zusammen.
Ich teile seine Einschätzung. Deshalb habe ich unmittelbar nach der Verhandlung in Leipzig Sachsens Innenminister Buttolo aufgefordert, endlich initiativ zu werden, damit auch der letzte Verein des Netzwerkes, eben die in Borna ansässige “Gedächtnisstätte”, verboten wird. Halbheiten kann man sich auf diesem Gebiet nicht leisten. Oder was würden Sie sagen, wenn die Mafia als kriminelle Vereinigung eingestuft und verboten wird, aber eine Mafiafamilie ausdrücklich von diesem Schritt ausgenommen wird? Genauso unsinnig aber hat der Bundesinnenminister im vergangenen Jahr gehandelt. Man darf es nicht beim Verbot belassen, sondern es ist jeweils eine nachhaltige Zerschlagung der fraglichen Organisationen notwendig.
Aber das Anwesen in Borna, so steht doch fest, soll doch verkauft werden! Weshalb dann noch ein Verbot, warum weiterer politischer Druck? Ganz einfach: aus politischer Verantwortung heraus. Wir können doch nicht nach dem St.-Florians-Prinzip zufrieden sein, wenn wir selbst das Problem los sind. Im Gegenteil. Schon längst hätten sämtliche Bürgermeister in der ganzen Republik gewarnt werden müssen, denn natürlich wird sich der Verein eine neue Bleibe suchen. Vielleicht hat er sie sogar schon gefunden und der Widerstand vor Ort hat sich nicht entwickeln können, weil die Behörden am neuen Standort genauso unwissend in die Situation geschlittert sind wie damals die von Borna. Vielleicht aber ist es ja noch nicht zu spät. Dann gibt es nur einen Erfolg versprechenden Weg: die Offensive in der Öffentlichkeit.