Rede von »the future is unwritten« auf der Kundgebung des Ladenschlussbündnisses gegen den Nazi-Trainingsort im ehemaligen KZ-Außenlager in der Kamenzer Straße 10/12 unter dem Motto »Erinnern. Kämpfen.«.
Liebe Anwohner_innen, liebe Antifaschist_innen,
in den Aufrufen, Reden und Informationsveranstaltungen des Ladenschlussbündnisses ist es bereits mehr als deutlich geworden: Leipzig hat ein Problem mit reaktionären Bandenstrukturen. Das Imperium Fight Team um den politisch einschlägigen Nazi-Hooligan Benjamin Brinsa, das hier ein ehemaliges KZ-Außenlager als Kampfsport-Trainingsort nutzt, ist dabei die Spitze des Eisbergs. Hier ansässig sind auch Rocker-Strukturen. Das Imperium Fight Team hat Überschneidungen mit der Hooligan-Szene von Lok Leipzig. Auch ins Rotlicht-Milieu erstrecken sich die rechten Netzwerke in Leipzig. Wenn wir über reaktionäre Bandenstrukturen reden, reden wir nicht über einfache Neonazi-Kameradschaften. Wir reden über Strukturen, die sich weit in den so genannten vorpolitischen Raum erstrecken und die eines gemeinsam haben: es sind Strukturen in denen Männer auf Basis persönlicher, informeller Kontakte und Seilschaften geschäftliche, sportliche, kulturelle und politische Aktivitäten betreiben. Derartige Männer-Banden gibt es nicht nur im neonazistischen Umfeld: sie sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und eins haben sie immer gemeinsam: die Zusammenrottung von Männern, die sich als gewaltbereite Verteidiger ihrer Gemeinschaft in Szene setzen. Frauen kommen bei diesen Inszenierungen selten vor, oder werden in den Hintergrund gedrängt, selbst wenn ihre Tätigkeiten faktisch eine wichtige Rolle spielen.
Und diese Art von Männer-Banden kritisieren wir auch dann, wenn sie keine rechte politische Ausrichtung haben. Weil sie Ausdruck patriarchaler Strukturen sind, Zugang zu Macht an Geschlechtszugehörigkeit, Gewalt entweder als Selbstzweck oder zu Durchsetzung ihrer Eigeninteressen nutzen und persönliches Wohlwollen koppeln und in aller Regel ein ultra-sexistisches Weltbild teilen und verbreiten.
Wir wollen diese Rede nutzen, um einen kurzen Blick auf die Gründe zu werfen, die zur Entstehung solcher Strukturen führen. Kapitalismus und Patriarchat spielen dabei in fataler Weise mit autoritären Charakterstrukturen zusammen. Wir werden nacheinander auf die genannten Ursachen eingehen und deren Zusammenhang zum Phänomen der reaktionären Männer-Banden darstellen.
Wie fügen sich Männer-Banden und deren intransparente, unmittelbare Machtstrukturen in die kapitalistische Sozialstruktur ein? Die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus sind grundsätzlich dinglich vermittelt. Das bedeutet einerseits, dass sich die Verhältnisse zwischen Menschen in Dingen, nämlich Waren und Geld, darstellen. Andererseits bedeutet es, dass zwischen die Menschen tatsächlich Dinge treten. Konkreter ausgedrückt: während der Wert von Waren als ihre dingliche Eigenschaft erscheint, ist er doch tatsächlich Ergebnis der Ausbeutung von Arbeitskraft und des Vergleichs verschiedener Arbeitsprodukte auf dem Markt. Das soziale Verhältnis der Ausbeutung erscheint hier in Form des Werts als dingliche Eigenschaft. Gleichzeitig sind die Verhältnisse zwischen den Marktteilnehmer_innen durch Waren und Geld vermittelt. Kapitalist_innen und Arbeiter_innen tauschen Geld gegen Arbeitskraft, Konsument_innen und Produzent_innen tauschen Arbeitsprodukte gegen Geld. Entscheidend für dieses Verhältnis ist der Marktwert der getauschten Waren und nicht das persönliche Verhältnis der Tauschenden. Sie müssen sich nicht einmal persönlich kennen, um in ein soziales Verhältnis zu treten. Und andersherum ändert ein gutes persönliches Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiterin nichts an ihrem dinglich vermittelten Ausbeutungsverhältnis. Dies steht in fundamentalem Gegensatz zu vorkapitalistischen Produktionsweisen, in denen die Macht- und Produktionsverhältnisse nicht dinglich vermittelt waren, sondern auf Traditionen und unmittelbarer Gewalt gründeten. Während die dingliche Vermittlung von gesellschaftlichen Verhältnissen also ein gewisses Maß an Autonomie erlaubt, führt sie gleichzeitig auch zu einer Ohnmacht der Menschen gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen. Gerade in Zeiten von Krisen wird ihnen diese Ohnmacht immer wieder vor Augen geführt. Wenn massenhaft Leute entlassen werden, spielen dabei Fragen von Profitmaximierung und Konkurrenz eine Rolle, nicht aber die persönliche Beziehung zwischen Arbeiter_innen und Chefs. Die gesellschaftlichen Verhältnisse entziehen sich der unmittelbaren Kontrolle der beteiligten Menschen. Sie können höchstens durch den Staat reguliert, aber nicht konstruiert oder frei gestaltet werden. Denn auch der bürgerliche Staat ist darauf angewiesen sich zu finanzieren, also eine Politik zu betreiben, die der Anhäufung von Kapital dienlich ist. Die grundlegende Machtlosigkeit, aber auch Unsicherheit in der eigenen Lebensplanung und insbesondere ökonomische Krisen erzeugen ein Bedürfnis nach unmittelbaren Formen von Gesellschaft, Kontrolle über Sozialstrukturen und Einfluss auf das unmittelbare Umfeld. Leider bietet unsere Gesellschaft mehr reaktionäre, als fortschrittliche Angebote, um diesem Bedürfnis entgegenzukommen.
Um die Entstehung von Männer-Banden zu verstehen, reicht es nicht, sich mit der kapitalistischen Produktionsweise zu beschäftigen. Denn diese würde ohne die Verknüpfung mit dem Patriarchat, der Herrschaft von Männern über Frauen, wahrscheinlich kaum stabil funktionieren können. Das Patriarchat existiert weitaus länger als der Kapitalismus, aber in der Moderne haben sich beide Verhältnisse zu einer gemeinsamen Gesellschaftsform verbunden. Das kapitalistische Patriarchat basiert auf einer zweigeschlechtlichen Ordnung, in der Frauen die Reproduktionsarbeiten zugewiesen werden. Ihnen fallen all jene Aufgaben zu, die schwer über den Tausch vermittelt umzusetzen sind und dennoch notwendig bleiben, um die menschliche Arbeitskraft Tag für Tag wieder herzustellen. Kindererziehung, Haushalt, Lebensplanung, emotionale Fürsorge, Pflege von Kranken und älteren Familienmitgliedern sind nur einige Beispiele für solche Reproduktionstätigkeiten. Auch in Zeiten, in denen Frauen ihre Arbeitskraft selbst verkaufen, werden sie in aller Regel zusätzlich für die Reproduktionsarbeit verantwortlich gemacht. Die Reproduktionsarbeit ist meist notwendig mit persönlichen Bindungen verknüpft und kann deshalb besser über personale Herrschaftsverhältnisse verteilt werden, als über unpersönliche, verdinglichte Instanzen wie den Warentausch. Die unmittelbaren Herrschaftsverhältnisse des Patriarchats sind also weder ein Nebenwiderspruch des Kapitalismus, noch stehen sie im Widerspruch zur verdinglichten Gesellschaftsstruktur des Kapitalismus. Im Gegenteil stabilisiert die personale Herrschaft von Männern über Frauen die vermittelte und somit krisenanfällige Sozialstruktur des Kapitalismus.
Und genau aus diesem Zusammenhang speisen sich reaktionäre Männer-Banden. Das risikobehaftete, krisenanfällige, mit Selbstentsagung verbundene Dasein als ausgebeuteter Marktteilnehmer wird von einer stabilen, mit Fürsorge verbundenen, unmittelbar hierarchischen heterosexuellen Mann-Frau-Beziehung überhaupt möglich gemacht. Doch auch diese Beziehungen gelingen nicht immer und sind nicht frei von Konflikten. Sie können das Maß an Selbstentsagung und sozialer Unsicherheit, dass der kapitalistische Arbeitsmarkt hervorbringt, nicht immer kompensieren. Eine weitere Alternative, die die kapitalistisch-patriarchale Gesellschaft für Männer anbietet, sind deshalb Männer-Bünde: Burschenschaften, die sich gegenseitig über personale Kontakte zu Jobs verhelfen. Motorrad-Klubs, die mit Drogenhandel und Ausbeutung von Prostituierten Geld erwirtschaften. Hooligan-Gruppen, die ein Gefühl von Kameradschaftlichkeit und Verbundenheit über gemeinsame Gewalterfahrungen bieten – und vieles mehr. Wie in den genannten Beispielen sichtbar können Männer-Banden sowohl als Ersatz für eine Tätigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt, als karriereförderliche Ergänzung zu einer solchen oder als reine Kompensation für diese Tätigkeit dienen. Den Leiderfahrungen der Lohnarbeit begegnen sie aber in keinem Fall mit klassenkämpferischer Gegenmacht oder Kritik. Im Gegenteil: oftmals wird der Leistungsgedanke sogar positiv in den Vordergrund gestellt und die Legitimation ergänzt, Leistung und Härte seien ein besonders positiver Ausdruck von Männlichkeit. Die Härte gegen sich selbst wird, wie schon die Sozialforscher Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihren Studien zum autoritären Charakter feststellen, dann auch auf andere projiziert. Im Weltbild autoritärer Männer-Banden – Adorno und Horkheimer hätten sie als Rackets bezeichnet – haben sich Frauen männlichen Ansprüchen zu fügen und in vielen Fällen liegen rassistische und antisemitische Ressentiments nahe. Migrant_innen werden für Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gemacht und Jüd_innen für die krisenanfälligkeit des kapitalistischen Marktes. Und all diese Ressentiments bieten eine weitere Legitimation für die jeweilige Männer-Bande. Denn gemeinsam lassen sich männliche Ansprüche auf Definitionshohheit besser gegen Frauen verteidigen, die auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung bestehen. Und mit der vereinten Gewalt der Männer-Bande lassen sich Nation, Volk und Familie gegen vermeintliche migrantische Invasionen oder jüdische Verschwörungen verteidigen. Ein sehr besorgniserregendes Beispiel dafür waren die HoGeSa-Aufmärsche 2014 und 2015 in Köln, bei denen noch-nicht-politisierte, rechte und offen neonazistische Hooligans gemeinsam gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlands“ randalierten.
Wenn wir sehen, wie reaktionäre Strukturen aus dem vorpolitischen Raum und offene Neonazi-Gruppen zusammenwirken, dann bedeutet das für uns als emanzipatorische Linke, dass wir an der Zerschlagung all dieser Strukturen arbeiten müssen. Ob Imperium Fight Team, Hooligan-Gruppen, Rocker-Klubs, Burschenschaften oder sonstige reaktionäre Klüngel: wir werden keine Ruhe geben, bis die letzte dieser autoritären Zusammenrottungen auseinander genommen wurde.
Aber das reicht als Praxis bei weitem nicht aus. Wir müssen uns kritisch mit den Verhältnissen auseinandersetzen, die diese Gruppierungen hervorbringen. Und wir wollen sowohl die verdinglichte und irrationale Vergesellschaftung über den Markt, als auch die personale Herrschaft von Männern über Frauen überwinden. Dazu gehört auch, eine gesellschaftliche Alternative zu benennen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der von Menschen geschaffene Institutionen nach rationalen und an menschlichen Bedürfnissen orientieren Kriterien die Reproduktion und Produktion gestalten und verwalten. In der keine persönliche Seilschaft, keine Herrschaft von Menschen über Menschen den gesellschaftlichen Prozess prägt. Und in der keine Formzwänge wie der zur Wertverwertung die menschliche Bedürfnisbefriedigung bloß zu einem Nebeneffekt der Produktion machen. Ein kommunistisches, basisdemokratisches System von Räten kann eine solche Alternative sein und dafür streiten wir hier und an jeder anderen Stelle. Als radikale Linke müssen wir Frauen und Männern Alternativen zum patriarchalen und kapitalistischen Alltag bieten. Basisdemokratische, transparente und inklusive Organisierung muss im Hier und Jetzt beginnen. Nur sie kann die Basis für feministische, kommunistische und fortschrittliche Kämpfe bilden!
Räte statt Rackets! Für den Kommunismus!