LVZ: Reichspogromnacht. Aktionsbündnis veranstaltet Demonstration

LVZ, 8.11.2007

Unter dem Motto „Kein Vergeben, kein Vergessen. Antisemitismus bekämpfen!“ ruft das Aktionsbündnis gegen Nazis „Ladenschluss“ für morgen zwischen 17 und 18 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Kleinen Willy-Brandt-Platz auf. Am 9. November 2007 seien 69 Jahre vergangen, seit in Deutschland mit der Reichspogromnacht eine unvergleichbare Attacke auf jüdische Menschen einen traurigen Höhepunkt fand, heißt es in dem Aufruf: In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 fielen hunderte Menschen dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer, rund 30 000 Menschen wurden in Konzentrationslager verschleppt und nahezu alle Synagogen in Deutschland und 7000 in jüdischem Besitz befindliche Geschäfte zerstört. Bis 1945 währte die Shoa — der systematische Mord an sechs Millionen Juden.
„Wir laden alle Leipziger und Leipzigerinnen ein, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Der Kundgebungs-Ort ist dabei nicht zufällig gewählt: das sich in der Nähe des Kleinen Willy-Brandt-Platzes befindliche Thor-Steinar-Geschäft verkauft Kleidung für Nazis und bedient sich bewusst einer in rechten Kreisen beliebten und ideologisch aufgeladenen Runen-Symbolik“, so Stephanie Kesselbauer, Sprecherin des „Ladenschluss“-Bündnisses.
Das „Ladenschluss“-Aktionsbündnis gegen rechts hat sich Mitte Oktober als Plattform gegen rechte Strukturen in Leipzig konstituiert. Ihm gehören sowohl Antifa-Gruppen, zivilgesellschaftliche Initiative, Vereine, Parteijugenden sowie Einzelpersonen an. Das Ziel des Bündnisses ist zunächst die Schließung des Thor Steinar Ladens „Tonsberg“. r.

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„Ladenschluss“ wird greifbarer!

Im Oktober ließ die Berliner Immobilienfirma Immovaria, Eigentümerin des auch „Goldene Kugel“ genannten Hauses in der Richard-Wagner-Straße, zum ersten Mal öffentlich verlautbaren, dass sie die eigene Mieterin, die Thor-Steinar-Filiale „Tönsberg“, so schnell wie möglich loswerden wolle. Der Versuch, den Laden mit freundlichen Worten zum vorzeitigen Ende des dreijährigen Mietvertrages zu bewegen, allerdings fruchtete nicht. Es bleibt also der Rechtsweg, der in der Presseberichterstattung vage angedeutet wurde. In Magdeburg steht für Mitte November die Eröffnung der Hauptverhandlung in Sachen Räumungsklage der zum katholischen Bistum Magdeburg gehörenden Vermietergesellschaft gegen die dort eingemietete Thor-Steinar-Filiale „Narvik“ an, die Mieterin hätte in Bezug auf ihr Sortiment willentlich Täuschung bzw. Verschleierung betrieben.

Unterdessen hat sich der Bürgermeister der norwegischen Stadt Narvik an die deutsche Regierung gewandt. Dem Laden wird Verunglimpfung des Namens der Stadt Narvik und damit der direkte Angriff auf die Opfer des Zweiten Weltkrieges vorgeworfen. Das im Norden Norwegens gelegene Stadtchen Narvik hatte für die deutsche Kriegsindustrie große Bedeutung, von dort wurden große Mengen von Eisenerz nach Deutschland verschifft. Bei der Schlacht um Narvik wurde die Stadt vor allem durch deutsche Bomber fast gänzlich zerstört. Zwar fehlen ähnlich klare Bezüge zur ebenfalls in Norwegen gelegenen Hafenstadt Tönsberg, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich die Namenswahl in die Neigung der deutschen Nazis zu ihren „nordisch-germanischen Wurzeln“ einreiht. Die alte, verbotene Symbolik der Marke Thor Steinar bestand aus einer Kombination von zwei Runen – übereinander gelegt dargestellt ähnelten diese bei einer leichten Schrägstellung dem Symbol der „Waffen-SS“. Runen als altnordisch-germanische Zeichen wurden im NS im Sinne einer germanisch, arischen Traditionslinie verwendet und werden auch heute in der Naziszene häufig und durchaus bewusst genutzt.
Nach juristischen Querelen und ca. 275 Strafverfahren, die allein 2005 wegen des Tragens von Thor Steinar eingeleitet wurden, veränderte die Herstellerfirma Mediatex die Symbolik. Das neue Logo besteht aus einer so genannten Gebo-Rune mit zwei Punkten und ist strafrechtlich nicht relevant. Die Verquickung der Firma Mediatex mit, wie auch die Bedeutung der Marke für die rechte Szene allerdings sind geblieben. In der Publikation „Hinter den Kulissen. Argumentationshilfe gegen rechte Parolen“ der Polizeidirektion Leipzig findet sich die Bekleidungsmarke Thor Steinar in der Kategorie „Erkennungszeichen der rechten Szene“ wieder. Ähnliche Einordnungen nimmt der sächsische Verfassungsschutz vor.

Dem „Tönsberg“ in Leipzig ist seit seiner Eröffnung mit zahlreichen Demos und Aktionen heftiger Protest entgegengeschlagen. Anstelle von Schaufensterscheiben zieren Holzverkleidungen die Fassade. Allein die politische Repräsentanz der Stadt Leipzig schweigt zur Sache. Ein Mitte Oktober im linXXnet konstituiertes Bündnis aus Antifa- und zivilgesellschaftlichen Gruppen, Parteijugendvertretern und Einzelpersonen – „Ladenschluss“ Aktionsbündnis gegen Rechts – hat sich inzwischen mit einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister Leipzigs gewandt, in dem eine Stellungnahme wie die „Ausschöpfung aller Mittel, die der baldigen Schließung des Ladens dienlich sind“ gefordert werden. Die Stadtratsfraktion der Partei DIE LINKE fragt in einer Anfrage an den OBM ebenfalls wie die Eröffnung eines Ladens bewertet wird, der rechtes Klientel anzieht sowie nach Thor-Steinar-tragenden Ordnern beim FC Lok Leipzig.

Dass Worte im Protest gegen das „Tönsberg“ nicht ausreichen und dass antifaschistisches Engagement sich nicht nur an einem Laden aufhängen kann, liegt auf der Hand. Thor Steinar ist lediglich eine Fußnote in der wachsenden Nazi-Aktivierung. Übergriffe auf Alternative Zentren und Menschen, Spontandemos, geschichtsrevisionistische Veranstaltungen und brutales Auftreten im Fußball-Milieu kennzeichnen auch die Situation in Leipzig. Das Aktionsbündnis gegen Nazis plant verschiedenste Aktivitäten: Kundgebung zum Gedenken an die Opfer der antisemitischen Novemberpogrome 1938 in der Nähe des „Tönsberg“, in Form und Methode vielfältige Aktionen, Infomaterial, Protest-Postkartenaktion sowie diese Internetseite… und MitstreiterInnen sind erwünscht!

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GAMMA: Neue Geschäfte von, für und mit Nazis

Aus: GAMMA-Antifa-Newsflyer Nr. 180 – Oktober/Nov. 2007

Unverhofft kommt oft: im September eröffneten in Leipzig zwei neue Ladengeschäfte, in sich die örtliche Naziszene treffen und mit Klamotten eindecken kann. Zunächst präsentierte sich in der Volbedingstraße (nahe Berliner Brücke) im Stadtteil Mockau-Süd ein “Vereinshaus” namens “Aryan Brotherhood Germany” der Öffentlichkeit. Der Name wurde in Anlehnung an eine berüchtigte Gang US-amerikanischer Nazis gewählt, die sich in dortigen Knästen mit Auftragsmorden und Drogenschmuggel verdingt. Hinter dieser martialischen Legende steckt in Wirklichkeit eine Geschäftsidee des Betreibers des Wurzner “Front Records”-Versandes, Thomas Persdorf. In dem relativ versteckten Gewerbegebiet befindet sich im Erdgeschoss die von außen völlig unscheinbare Filiale mit einem Verkaufsraum, in dem T-Shirts aus Front-Records-eigener Produktion zu haben sind. Ferner gibt es eine Tresen und einen Trainingsraum. Es ist anzunehmen, dass Persdorf die nötigen Finanzen zur Anmietung der Räume vorgeschossen hat; außerdem ist er Betreiber und Inhaber der zugehörigen Website und Domain. Noch hat sich die selbsternannte “Bruderschaft” allerdings nicht in die lokale Naziszene integrieren können: zur “feierlichen Eröffnung” am 3. September blieben die Mitarbeiter des Ladens unter sich. Auch zwei nachfolgende “Partys” erzeugten keine Besucherströme.
Die weitere Entwicklung ist hier völlig offen, denn örtlich abgeschnitten von nennenswertem Publikum und eingemietet in einem unattraktiven, schwer zu findenden und einzusehenden Objekt wird auf der Ladentheke nicht viel los sein. Allerdings will man, und dies ist erneut ein eindeutiger Hinweis auf den kommerziellen Hintergrund, einen “Security”- und Ordnerdienst hochziehen, jedenfalls lassen sie sich über ihre Website als “AB Security” buchen.

Ein anderer Laden kann unterdessen mit mehr Umsatz rechnen: am Hallischen Tor/Ecke Richard-Wagner-Straße, eröffnete am 22. September unter dem Namen “Tønsberg” eine Filiale des rechtsextremen Modelabels “Thor Steinar”. Gleichnamige Ladengeschäfte führt Thor Steinar in Berlin am Alexanderplatz (wobei der Mietvertrag mittlerweile seitens der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte gekündigt wurde) und seit über einem Jahr auch am Dresdner Postplatz. Bereits zwei Tage vor der Eröffnung führten über 250 Antifaschisten eine Spontandemonstration durch, die am Laden, der erst wenige Stunden zuvor mit “eindeutiger” Ware beliefert wurde, vorbeiführte. Am selben Abend gingen Pressemeldungen zufolge sämtliche Scheiben zu Bruch, die Polizei bekam scheinbar nichts mit. Die nachfolgende Reihe erfolgreicher Aktionen rief freilich auch Nazis auf den Plan: Anlässlich einer angemeldeten Kundgebung der Jusos am 27. September versammelten sich im und vor dem Laden etwa 30 Nazis, unter denen sich auch FKL-Mitglieder wie Isztvan Repaczki und Hools wie Ricardo Sturm befanden. Nach einigem Geprolle und dem Vorzeigen einer Iran-Fahne verzog sich ein Großteil der Nazis zunächst hinter einen Imbiss. Als die Kundgebung gerade beendet werden sollte, stürmten teils vermummt und mit aufgesetzten Helmen hervor und versuchten, die Kundgebung anzugreifen, wichen aber der anwesenden Antifas und der eingreifenden Polizei zurück. Die beteiligten Nazis wurden anschließend nach ihren kontrolliert und einzeln abgefilmt; mit von der war auch der Delitzscher Nazikader Stefan Wagner. Dass es sich hier um einen ernsthaften Versuch handelte, die größtenteils bürgerlichen Teilnehmer der Kundgebung zu attackieren, gab anschließend Thomas Gerlach (“Ace”) in einem Artikel im “Freien Netz” zu verstehen: “Das Szenario ist Aktivisten aus Rostock bekannt und auch für Leipzig wird natürlich gelten, dass man keinen Schritt der linksfaschistischen Reaktion weichen wird!” Angespielt wird hierbei auf den Rostocker Thor-Steinar-Laden “East-Coast Corner”, um den es vor einigen Wochen ebenfalls gewaltsame Auseinandersetzungen gab. Der Erfolg dieser Taktik ist in Bezug auf Leipzig allerdings zweifelhaft – schon wenige Tage nach der Eröffnung war das “Tønsberg” von außen nicht mehr als Ladengeschäft erkennbar, vor die Schaufensterscheiben wurden massive Holzplatten montiert, auf die daraufhin auch noch Farbbeutel flogen. Weder die daueranwesende Polizei, die den Laden als “besonders gefährdetes Objekt” verstärkt bestreift noch der eigenes abgestellte “Schutz” durch Black Rainbow” und “L.E. Security” konnte den Aktionen gegen den Laden etwas entgegensetzen.

Das kann allerdings ebenso im Kalkül der Ladenbetreiber liegen. Die haben ihren Mietvertrag nämlich gleich über drei Jahre abgeschlossen – ungewöhnlich für ein Geschäft mit Innenstadtlage und ein Hinweis darauf, dass der Protest ausgesessen werden soll. Als Vermieter tritt die Berliner Immovaria Beteiligungen AG auf, die auch ein Büro in der Leipziger Prinz-Eugen-Straße führt. Die Immovaria ist im Besitz des Unternehmers Siegfried Axtmann, einem Hauptsponsor des FC Lokomotive Leipzig. Gegenüber der Presse gab Axtmann zu verstehen, dass es am Mietvertrag juristisch nichts zu rütteln gäbe. Wen man da in seiner Immobilie Geschäfte machen lässt, davon habe man vorher – natürlich – nichts gewusst…

Bisher waren “Thor Steinar”- und ähnlich einschlägige Klamotten nur im “Untergrund” in der Kolonnadenstraße, bei “Miss Liberty” und “Mc-Trend” in der City sowie im “Boombastic” im Grünauer Allee-Center zu bekommen. Ein eigener “Thor Steinar”-Store in so prominenter Lage ist ein Novum für Leipzig. Ebenso neu ist das offene Auftreten kameradschaft-ähnlichen Vereinigung wie “Aryan Brotherhood Germany” und die ebenso offene Nutzung eines Ladengeschäfts. Bedenklich ist, dass beide Neugründungen offenbar von einem genügend großen Klientel ausgehen, dass sich aus ihrem Sortiment bedienen will. Zumindest dem “Tønsberg” könnte durch seine Innenstadtlage wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein. – Natürlich nur, wenn nicht angemessen interveniert wird.

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