75 Jahre Befreiung von Leipzig: Für ein würdiges Gedenken! Überall!

Dieser Tage wird wieder einmal debattiert, ob der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus ein gesetzlicher Feiertag werden soll. Die Initiative geht auf den, aktuell auch durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit akut bedrohten, VVN-BdA zurück. Die wohl prominenteste Fürsprecherin ist die Auschwitzüberlebende Esther Bejerano. Die Stadt Leipzig, und damit auch die Leipziger Konzentrations- und Zwangsarbeitslager, wurden bereits am 18. April 1945 durch die US-Army befreit. Kurz vorher ermordeten jedoch SS- und Volkssturmtruppen die im KZ-Außenlager Leipzig-Thekla verbliebenen Häftlinge, die den Strapazen eines sogenannten „Todesmarsches“ körperlich nicht mehr gewachsen waren. Sie wurden in eine Baracke eingesperrt und diese in Brand geschossen. Truppen der US-Army fanden, als sie das Lager Stunden später betraten, die teils noch um ihr Leben kämpfenden Häftlinge. Die wenigsten überlebten.

Heute erinnert ein aus DDR-Zeiten stammender Gedenkstein am ehemaligen Ort des Geschehens an das „Massaker von Abtnaundorf“. Der gemäß dem in der DDR dominanten Narrativ eines „antifaschistischen Kampfes gegen den Faschismus“ gestaltete Gedenkstein machte aus den grundlos Inhaftierten heldenhafte Widerstandkämpfer*innen und integrierte sie so in ein nationales, deutsches Gedenken. Mittlerweile finden sich am selben Ort auch eine Gedenktafel mit Hintergrundinformationen (seit 2017) und eine Installation, die die Namen der bekannten Opfer des KZ Leipzig-Thekla und des Massakers nennt.

Anders ist die Lage in der heutigen Kamenzer Straße: Auf dem Gelände der Kamenzer Straße 10/12 befand sich bis 1945 ein Teil des KZ-Außenlagers „HASAG-Leipzig“, des größten Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald. An das Lager und die über 5000 dort inhaftierten Frauen und Mädchen erinnert jedoch nur eine kleine Gedenktafel, die vom VVN-BdA Leipzig aufgestellt wurde. Sie wurde in den vergangenen Jahren immer wieder zerstört. Bei einer Gedenkveranstaltung 2009 teilte die Polizei den Veranstalter*innen mit, dass es besser wäre, die Gedenktafel und die niedergelegten Blumen wieder mitzunehmen, da der Eigentümer des Geländes ein Problem mit der Aktion hätte. Der Eigentümer selbst war vor Ort und versuchte, mit einem T-Shirt, das mit neonazistischer Symbolik bedruckt war, zur Gedenkveranstaltung zu gelangen, was die Polizei allerdings verhinderte.

Heute wird dieser Gebäudekomplex, der sich seit 2007 im Besitz eines Neonazis befindet, weiterhin von organisierten, militanten Neonazis genutzt, die dort mutmaßlich für den Straßenkampf trainieren. Seit 2008 fanden in der Kamenzer Straße auch immer wieder Rechtsrockkonzerte statt. Dieser Verhöhnung der Opfer wird seit nunmehr 13 Jahren von offizieller Seite stillschweigend zugesehen. Zwar führt das Land Sachsen den Gebäudekomplex als „rechtsextremistisch genutzte Immobilie“, doch scheint es so als würde die Landesregierung diesen Zusammenhang wahlweise nicht sehen wollen oder ihn geflissentlich ignorieren. Auch der Verfassungsschutz Sachsen wird seinem Ruf, auf dem rechten Auge blind zu sein, in diesem Zusammenhang wieder einmal mehr als gerecht. In den letzten Jahren tauchten die dortigen Umtriebe nur ein einziges Mal im Verfassungsschutzbericht auf: Und dies nur im Zusammenhang mit einer Kundgebung gegen die neonazistische Nutzung dieses Gebäudekomplexes, die der VS als „linksextremistisch beeinflusst“ betrachtet.

Wir forden ein würdiges Gedenken in der Kamenzer Straße. Dies ist nur möglich, wenn die derzeitige Nutzung auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers beendet wird.

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Plakataktion zum Gedenken an Orte der Zwangsarbeit in Leipzig

Wir dokumentieren hier einen am 06.02. erschienen Beitrag mit dem Titel „Kein Vergeben – Kein Vergessen – Plakataktion zum Gedenken an Orte der Zwangsarbeit in Leipzig“ (https://de.indymedia.org/node/63942).

Am 27.01.2020 machten zahlreiche Plakate im Leipziger Stadtbild darauf aufmerksam, dass es auch 75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz nicht ausreicht, nur „nicht vergessen zu haben.“ Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Aus diesem Grund wurde auf den Plakaten unter anderem an die immer sichtbar gewesene Geschichte der Zwangsarbeit in Leipzig erinnert und die Profiteure der Zwangsarbeit aufgefordert ihre Verstrickungen in die NS-Verbrechen aufarbeiten.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Seit 1996 wird an diesem Tag bundesweit den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Die Stadt Leipzig erinnert ihrerseits durch eine offizielle Gedenkveranstaltung an dem „Mahnmal in Abtnaundorf“ an die Lagerbefreiung.

Mit der Befreiung von Auschwitz waren die Gräueltaten der Deutschen keineswegs vorbei, durch den Wegfall der Vernichtungslager in Osteuropa wurde die systematische Ermordung von Menschen auf deutschem Boden intensiviert. Zum letzten Kapitel der deutschen Barbarei sind u.a die sogenannten Kriegsendphaseverbrechen zu zählen. Hierunter fällt neben den sogenannten Todesmärschen auch das „Massaker von Abtnaundorf“, bei dem SS- und der Volkssturm kurz vor Einmarsch der US-Armee die zurückgebliebenen ca. 80 Häftlinge des KZ „Leipzig-Thekla“ in eine Baracke einsperrten und diese in Brand schossen.

Doch der Intensivierung der deutschen Vernichtungspolitik, deren Teil auch die 6 Außenlager des KZ Buchenwald in und um Leipzig waren, gingen Jahre der antisemitischen Verfolgungspolitik voraus, die etwa in der Pogromnacht des 9./10. November 1938 gipfelten. Auch in Leipzig wurden unter Beifall und Mitwirkung großer Teile der Bevölkerung jüdische Einrichtungen und Wohnungen angegriffen und geplündert, jüdische Menschen misshandelt, deportiert und ermordet.

Abseits der KZ-Außenlager wurden ZwangsarbeiterInnen in Leipzig in ca. 500 Sammelunterkünften wie Schulen, Turnhallen, Festsälen, Gaststätten, privaten Wohnungen oder Barackenlagern interniert. So wurden von 1939 bis Kriegsende mindestens 60.000 Menschen aus den besetzten Ländern und Regionen nach Leipzig verschleppt und mussten Zwangsarbeit verrichten. ZwangsarbeiterInnen wurden u.a in kleineren Betrieben, Krankenhäusern, bei der Post, der Stadtverwaltung und von der Reichsbahn eingesetzt. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag und war sichtbarer Bestandteil des Stadtbildes.

Auch im Leipziger Osten lassen sich Orte finden, die die alltägliche Präsenz von Zwangsarbeit widerspiegeln. So wurde in der Eisenbahnstraße 131b in den sog. „Rheingold-Festsälen“ ein Kriegsgefangenenlager von der Stadtverwaltung betrieben, dessen Insassen u.a. im Bereich Stadtreinigung und Abfallwirtschaft Zwangsarbeit leisteten. Oder die heutige Wurzner Straße 55, damals das Lager „Ostland“. Hier wurden überwiegend sog. OstarbeiterInnen von der LVB als SchaffnerInnen, KontrolleurInnen oder in der Wartung des ÖPNV ausgebeutet. Beide Beispiele sind exemplarisch für die Verstrickung der Stadt und städtischer Unternehmen mit NS-Zwangsarbeit und zeigten auf, dass Zwangsarbeit für die Leipziger BürgerInnen sichtbar war und es diverse Kontaktpunkte zwischen diesen und den Ausgebeuteten gab.

Ein zentraler Ort im Leipziger Zwangsarbeitssystem war der Eilenburger Bahnhof auf dem Gelände des heutigen Lene-Voigt-Parks. Hier kamen während des Krieges täglich Transporte mit bis zu 1000 Menschen an. Die Deportierten durchliefen anschließend die Riebeckstraße 63 wo sie registriert, medizinisch untersucht und auf die Betriebe verteilt wurden. Arbeitsorte waren beispielsweise die Riebeck-Brauerei, heute Sternburg, und die Karl Krause Maschinenfabrik in Anger-Crottendorf.

Zwangsarbeit war in Leipzig – auch für die Zivilbevölkerung allgegenwärtig. Trotzdem sind die meisten Orte der Verbrechen heute vergessen. Damit das Ausmaß und die Alltäglichkeit von Zwangsarbeit Eingang in das kollektive Gedächtnis der Stadtbevölkerung findet, muss die Geschichte dieser Orte sichtbar gemacht werden.

Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Dies zeigen sowohl die bis heute vorhandenen Lücken in der Erforschung der nationalsozialistischen Verbrechen, als auch die Kontinuitäten antisemitischer, rassistischer, antiziganistischer, homophober Denkweisen innerhalb der Gesellschaft. Welche Gefahr von einem solchen Gedankengut ausgehen kann, zeigen Vorfälle wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle nur zu deutlich. Da nach 1945 plötzlich niemand mehr etwas gewusst oder gesehen haben wollte, blieb auch eine genauere Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Verbreitung von Zwangsarbeit aus. Wir fordern daher, dass über das den ZwangsarbeiterInnen angetane Leid aufgeklärt und ihnen angemessen gedacht wird. Akteure wie die LVB, die Stadtwerke und die Stadtverwaltung müssen ihre Verstrickungen in NS-Verbrechen aufarbeiten und diese in die städtische Erinnerungskultur hineintragen. Erinnern muss mehr bedeuten, als nur „nicht vergessen zu haben“. Erinnerung darf nicht im historischen Rückblick erstarren, sondern muss diesen Rückblick mit politischen Forderungen an die Gegenwart verknüpfen.

75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz gilt es um so vehementer an Adornos kategorischen Imperativ zu erinnern: dass Denken und Handeln so einzurichten sei, dass Auschwitz sich nicht wiederhole und nichts ähnliches geschehe.

„Kein Vergeben, kein Vergessen!“

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Brief Lagergemeinschaft Buchenwald/ Mittelbau-Dora an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig

Am 9. Dezember 2019 veröffentlichten wir einen Offenen Brief an die Stadt Leipzig und weitere Behörden, der mittlerweile von 36 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Vereine und Organisationen, sowie 3 Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtages unterschrieben wurde. Bis heute haben wir keine Antwort erhalten.

Wir möchten an dieser Stelle einen Brief an den Oberbürgermeister Jung veröffentlichen, den er bereits im Juli 2019 erhalten hat, auch hier gibt es bis heute keine Antwort oder Reaktion:


Erfurt, den 9. Juli 2019

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,

aus der Presse erfuhr ich, dass sich auf dem Gelände der ehemaligen HASAG- Werke Leipzig seit mehr als zehn Jahren rechte Hooligans treffen und in einer Lagerhalle ein Kampfsportstudio eingerichtet haben.

Die Stadt Leipzig hat dagegen offensichtlich bis heute nichts Wirksames unternommen, obwohl es seit einiger Zeit auch Bürgerproteste gibt.

Über diese Untätigkeit, vor allem aber über den geschichtsvergessenen und verächtlichen Umgang mit dem Leid der mehr als 5000 Frauen und Mädchen aus 27 europäischen und außereuropäischen Ländern, die hier unter menschenverachtenden Bedingungen eingesperrt waren und zur Sklavenarbeit in der Rüstungsproduktion gezwungen wurden, bin ich äußerst empört.

Ich fordere Sie, auch im Namen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V. auf, schnellstmöglich Maßnahmen zu treffen, um das gesamte ehemalige Produktions- und
Lagergelände der HASAG unter Schutz zu stellen.

Bei der HASAG Leipzig handelte es sich um das größte der 27 Frauenaußenlager, die vom Konzentrationslager Buchenwald vom Sommer 1944 an verwaltet wurden.

Wie die Männeraußenlager wurden sie an Standorten der deutschen Kriegsindustrie eingerichtet, wo die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten.

Diese Außenlager waren ebensolche Konzentrationslager wie Buchenwald, mit Stacheldraht umzäunt und von SS-Wachposten gesichert. In ihnen galt das gleiche Terrorregime und Strafsystem wie in Buchenwald.

Eine Besonderheit der Frauenaußenlager war, dass es den SS-Wachmannschaften verboten war, sich den Frauen zu nähern und das Lagerinnere zu betreten. Die Gefangenen wurden im Lagerbereich, auf dem Arbeitsweg und bei der Arbeit durch Aufseherinnen beaufsichtigt.

Einen generellen Unterschied in der Gewaltbereitschaft des weiblichen und männlichen Bewachungspersonals gab es nicht.
Als Mitarbeiterin der Gedenkstätte Buchenwald lernte ich in den 1990er Jahren mehrere Überlebende kennen, die in den Frauenaußenlagern der Hugo-Schneiderr AG ( HASAG), Altenburg, Meuselwitz, Schlieben und Taucha gewesen waren.
Stellvertretend für andere möchte das Schicksal einiger Frauen skizzieren:

Die Polin Danuta Brzosko- Medryk, war als Abiturientin 1940 wegen »illegalen Schulbesuchs« verhaftet und im Warschauer Gefängnis »Pawiak« inhaftiert worden. 1943 wurde sie als Mitglied der »Armia Krajowa« (Polnische Heimatarmee ) per »Schutzhaftbefehl« in das Konzentrationslager Majdanek gebracht, anschließend in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und von dort ins Frauenaußenlager HASAG-Leipzig.

Zuerst musste sie trotz schlechten Gesundheitszustandes in der Produktion von Panzerfäusten arbeiten, dann wurde sie, da sie Deutsch sprach, im Lagerschutz eingesetzt. Der Lagerschutz war das heimliche Zentrum des polnischen Widerstandes in Leipzig.

Während des Todesmarsches im April 1945 konnte sie zusammen mit mehreren Kameradinnen fliehen und überleben. Sie wurde Ärztin und erhielt für ihre unermüdliche Aktivität als Zeitzeugin und ihr Auftreten im Majdaneker Kriegsverbrecherprozess 1989 den Aachener Friedenspreis.

Die Französin Suzanne Orts, geb. Pic, war bei ihrer Verhaftung 17 Jahre alt. Zusammen mit der gesamten Familie wurde sie als Mitglied eines gaullistischen Netzwerkes der Resistance denunziert, verhaftet und in die französische Festung Perpignan eingeliefert. Anschließend folgte die Deportation nach Deutschland, zuerst in das KZ Ravensbrück und anschließend in das Buchenwalder Frauenaußenlager HASAG-Leipzig. In den letzten beiden Lagern war sie zusammen mit ihrer Mutter inhaftiert. Beide mussten in der Granatenproduktion Zwangsarbeit leisten.

Während einer der zwölfstündigen Nachtschichten geriet sie vor Müdigkeit mit den Haaren in eine rotierende Maschine, die ihr große Stücke der Kopfhaut abriss. Ein Arbeiter rettete sie vor dem Verbluten und brachte sie ins Krankenhaus. Dass sie überlebte, war ein Wunder.

Infolge der Lagerhaft litt Suzanne Pic nach der Befreiung an Tuberkulose und konnte, weder die begonnene Schulausbildung abschließen noch einen Beruf erlernen.
Sie musste – noch als junge Frau – invalidisiert werden.

Die polnische Jüdin Felicja Karay, geb. Fela Schächter, 1927 in Krakau geboren, trat schon als Schülerin in die linkszionistische Organisation »Hashomer Hazair« ein.
Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen floh sie aus Krakau, um der Einlieferung ins Konzentrationslager zu entgehen. Sie fand jedoch keinen Schutz und wurde 1943
zusammen mit zwei älteren Schwestern in das Lager Plaszow gebracht.

Danach kam sie in das von der Hugo-Schneider AG betriebene Arbeitslager Skarzysko-Kamienna (Polen) und nach dessen Auflösung im Juli 1944 nach Leipzig.

Als Jüdin gehörte sie zur untersten Häftlingsgruppe im Lager. Trotzdem organisierte sie zusammen mit Kameradinnen heimlich kleine Kulturveranstaltungen, in denen von den
Kameradinnen und ihr selbst geschriebene Gedichte vorgetragen wurden.

Nach ihrer Befreiung ging sie nach Israel und begann mit Recherchen zum jüdischen Arbeitslager Skarzsysko-Kamienna. Ihre Doktorarbeit erschien 1987 unter dem Titel »Daeth comes in yellow. Skarzsysko-Kamienna Slave Labor Camp«. Sie wurde später ins Englische und Deutsche übersetzt.

Unabhängig voneinander berichteten alle drei Frauen von einem entsetzlichen Ereignis im Sommer 1944:

Nach der Ankunft des Transportes aus Skarzsysko-Kamienna am 4. August 1944 wurde der größte Vernichtungstransport aller Buchenwalder Frauenaußenlager mit Kindern in Leipzig zusammengestellt.

Bei der Liquidierung des Lagers Skarzsysko – Kamienna waren 24 Mädchen und Jungen im Alter von 4 bis 17 Jahren mit ihren Müttern »auf Transport« geschickt worden. Alle befanden sich in einem äußerst schlechten physischen und psychischen Zustand. Wenige Tage nach ihrer Ankunft in Leipzig wurden sie einer Selektion unterzogen. Zusammen mit den Müttern wurden alle Kinder am 28. August 1944 nach Auschwitz ins Gas geschickt. Unter den Opfern befanden sich auch die 34 – jährige Mutter des »Buchenwaldkindes« Stefan Jerzy Zweig, Helena sowie dessen 13 – jährige Schwester Sylvia.

Am 1. September 2001 wurde in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald eine Ausstellung unter dem Titel »Vergessene Frauen von Buchenwald. Die Ausbeutung weiblicher KZ-Häftlinge in der Rüstungsindustrie« eröffnet.

Erstmals dokumentierte sie am Beispiel von 24 Biografien der über 27 000 Frauen und Mädchen das Leben, die gnadenlose Ausbeutung, aber auch ihren Überlebenswillen in den 27 Frauenaußenlagern des KZ Buchenwald.

Über 20 Zeitzeuginnen waren anwesend und berichteten anschließend in einem öffentlichen Forum über ihre Deportation und die verschiedenen Lager.

Am nächsten Tag besuchten sie Leipzig – Schönefeld, um die Reste des ehemaligen HASAG-Lagers zu besichtigten. In Anwesenheit von Vertretern der Stadt legten sie einen Kranz für ihre Kameradinnen nieder.

Im anschließenden Gespräch baten sie die Politiker, alles zu tun, damit sich das Schreckliche, das sie in Leipzig und anderswo erlebt hatten, nicht wiederholen kann.

Die Bitte der Frauen gebe ich an Sie, Herr Oberbürgermeister Jung, weiter.

Von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig auf dem historischen Gelände des Stammwerkes der HASAG-Leipzig wird hervorragende Arbeit zur Bewahrung des Vermächtnisses der Frauen, zum Gedenken und zur Mahnung geleistet.

Die parallele Existenz eines unter rechtsextremistischem Verdacht stehenden Kampfsportstudios stellt eine Absurdität dar, die korrigiert werden muss.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Irmgard Seidel
Stellvertretende Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V.

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Stadt Leipzig wird zum Handeln aufgefordert

Leipzig, 9. Dezember 2019

34 zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Organisationen, sowie 3 Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtages forden in einem offenen Brief die Stadt Leipzig und weitere Behörden auf, gegen ein rechtsradikales Zentrum aktiv zu werden.

Mehrere Vereine, Initiativen und zivilgesellschaftliche Institutionen fordern in einem offenen Brief, konsequenter gegen einen Treffpunkt der rechtsradikalen Szene in Leipzig vorzugehen. Der offene Brief wurde von “Ladenschluss – Aktionsbündnis gegen Neonazis” initiiert, einem Bündnis welches seit 2007 in Leipzig über neonazistische Strukturen informiert und aufklärt.

Das ehemalige KZ-Außenlager wird heute durch Neo-Nazis und Hooligans genutzt.
Von Sommer 1944 bis zur Befreiung Leipzigs durch die amerikanische Armee im April 1945 befand sich in der heutigen Kamenzer Straße 10/12 das Außenlager „HASAG Leipzig“ des KZ Buchenwald. Hier waren 5000 Frauen und Mädchen inhaftiert und mussten für die Hugo-Schneider-AG Rüstungsgüter produzieren. Es war damit das größte Außenlager des KZ Buchenwald. Als „politisch“ und „jüdisch“ deportierte Polinnen bildeten die Mehrheit der Inhaftierten.

Seit 2007 befindet sich das Gelände – inklusive eines orginalen Gebäudes – in privater Hand. Seither fanden hier wiederholt Rechtsrockkonzerte und „unpolitische“ Elektropartys statt.

“Wir wollen, dass alles für die Stadt Leipzig und weitere Behörden mögliche unternommen wird, damit den Neonazis dieser Raum entzogen wird. Zudem wollen wir, dass auf dem Gelände ein Gedenkort entsteht, denn hier befindet sich eines der letzten erhaltenen orginalen Gebäude aus der Zeit der NS-Zwangsarbeit in der Stadt”, so Theresa Grün vom Ladenschlussbündnis Leipzig.

Neben dem »Imperium Fight Team«, dessen Mitglieder teilweise auch an der Attacke von Neonazis auf Connewitz im Januar 2016 beteiligt waren und die im August 2018 auch in Chemnitz präsent waren, ist zudem auch der Motorradclub „Rowdys Eastside“ in der Kamenzer Straße 10/12 ansässig. Der seit 2015 bestehende Motorradclub firmiert auch als “Bruderschaft 18” – ein Kürzel für die Initialen Adolf Hitlers –, die ungefähr zehn Mitglieder sind neonazistische Fußballfans des 1. FC Lokomotive Leipzig. Sieben Connewitz-Angreifer werden dem Motorradclub zugeordnet.

“Über Leipzig hinaus beobachten wir mit großer Sorge die zunehmende bundesweite Vernetzung neonazistischer Strukturen. Sie reicht von Kampfsportgruppen, wie dem »Imperium Fight Team«, über Modelabels, über parlamentarische Kräfte bis hin zu Gleichgesinnten in Polizei und Bundeswehr. Als Treffpunkt der regionalen militanten rechten Szene stellt die Kamenzer Straße einen Beitrag zum Aufbau einer faschistischen Vernetzung dar, die das gesamtgesellschaftliche Klima zunehmend ins völkisch-nationale verschiebt”, so Theresa Grün weiter.

Grün abschließend: “Wenn das demokratische und weltoffene Selbstbild der Stadt Leipzig nicht bloß eine Worthülse sein soll, dann kann es nicht sein, dass es von der Stadt Leipzig bis heute noch keinen offensiven Umgang mit den rechten Strukturen in der Kamenzer Straße gibt.”

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Falsche Neutralität

Für den 27. August 2019 hatte das Ladenschlussbündis zusammen mit „Rassismus Tötet!“ – Leipzig und „Irgendwo in Deutschland“ dazu aufgerufen, nach Wurzen zu fahren. Nun ist Wurzen eben nicht irgendeine Kleinstadt. Über die Versuche der dort ansässigen rechten Szene, eine Hegemonie zu schaffen, wurden an anderer Stelle schon viele Worte verloren. Kurz gesagt: Wir wollten dorthin, wo mit dem Einzug des Neonazis Benjamin Brinsa in den Stadtrat die Etablierung neonazistischer Kader und ihrer Strukturen in der Kommunalpolitik aktiv vorangetrieben wird. Dies darf nicht unkommentiert bleiben.

Schon im Voraus war klar, dass Wurzen kein leichtes Pflaster ist. Dabei sei bspw. etwa an die Bilder bewaffneter Neonazis von Januar 2018 oder den geradezu apokalyptisch wirkenden Polizeieinsatz im September 2017 zu denken. Doch das sind nur Kleinigkeiten verglichen mit den von Neonazis seit vielen Jahren kontinuierlich aufgebauten und täglich bestehenden Bedrohungsszenarien, die bereits von „Rassismus Tötet!“ zusammengefasst wurden. [1]

Für den 27. August 2019 kündigte das „Neue Forum für Wurzen“ (NFW) im Vorfeld ein „Empfangskommittee“ an, verbunden mit einem „Gesprächsangebot“. Dass dieses kaum mehr als eine weitere Provokation sein sollte, sollte eigentlich nach einem kurzen Blick auf die Äußerungen des NFW klar sein, hat NFW Stadtrat Dietel doch offensichtlich mehr Empathie für Wehrmachtssoldaten als für Diejenigen, die das Gedenken an deren Opfer pflegen übrig. Nur wenige Tage vor der ersten stadtsratssitzung nach den Kommunalwahlen im Mai 2019 lobte Dietel Benjamin Brinsa, einem weit über Wurzen hinaus durch seine Gewaltbereitschaft und rechten Umtriebe bekannten Neonazi, als einen „jungen Mann mit einer beachtlichen Lebensleistung“. Was passiert, wenn sich Menschen auf Dietels Gesprächsangebote einlassen, erzählte unter anderem NDK Geschäftsführerin Martina Glass in der taz. [2]

Das sogenannte Empfangskommittee, das neben den NFW-Stadträten Dietel und Brinsa aus biertrinkenden Neonazis aller Altersgruppen bestand, baute dann auch direkt die zu erwartende Bedrohungslage auf: aggressive, pöbelnde und fotografierende Neonazis auf allen Seiten, es wurden Parolen wie „Frei, Sozial und National“ gerufen. Doch nicht nur von den Neonazis wurde fotografiert, auch die Polizei fuhr ein geradezu absurd wirkendes Aufgebot an Kameras auf. Teilweise liefen 5-6 Polizisten mit Videokameras vor der Demo her, unterstützzt wurden diese von ihren Kolleg*innen, die die Demo aus allen Richtungen mit Spiegelreflexkameras ablichteten. Dies stand in einem starken Kontrast zu der vorherigen Aussage seitens der Behörden, dass man der Veranstaltung relativ entspannt entgegengeblicke. Hier zeigte sich einmal wieder deutlich, dass Antifaschismus in Sachsen von offiziellen Stellen als Bedrohung wahrgenommen wird – während sich die Neonazis relativ ungestört am Rande der Demo aufhalten, fotografieren, zum Teil vermummen und mehrfach Hitlergrüße zeigen konnten. Eben solche Repressionen von staatlicher Seite gegenüber dem antifaschistischen Protest passt allzugut zusammen mit einer seit dreißig Jahre währenden CDU Regierung in Sachsen, die Rassismus und neonazistische Gewalt bei jeder Gelegenheit relativiert und somit erst hoffähig gemacht hat und weiterhin macht.

Wie bereits erwähnt, wurde das Bedrohungsszenario nicht unsererseits aufgebaut: Benjamin Brinsa sprach Demoteilnehmer*innen provokativ mit Namen an, ein älterer Mann drohte einem Journalisten mit dem Tod, sollte dieser nicht ein Foto löschen und ein pöbelnder junger Neonazis am Rande forderte lautstark, dass die Gaskammern doch endlich für uns wieder in Betrieb genommen werden sollten. In der Leipziger Volkszeitung, die über die Demo berichtete, war von alledem nichts zu lesen. Stattdessen wurde angemerkt, dass sich „die Antifa aus Furcht vor den Kameras“ abduckte und Wurzener*innen sich über die Verschwendung von Steuergeldern beschwert hätten. Und auch der amtierennde Oberbürgermeister Röglin wollte offenkundig schnell zur Tagesordnung übergehen, als er Benjamin Brinsa mit einem freundschaftlich anmutenden Handschlag ins Wurzener Stadthaus hinein bat. All dies war für uns zwar wenig überraschend und doch zeigte sich einmal wieder sehr deutlich, wieso antifaschistischer Protest in Städte wie Wurzen getragen werden muss. Die Ergebnisse der säschsischen Landtagswahlen unterstreichen noch einmal wie wichtig antifaschistischer Protest ist, besteht doch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Erfolg der AfD, der Normalisierung rechter Weltbilder und der Etablierung rechter Strukturen in den Parlamenten. Umso mehr gilt es den rechten Konsens zu stören und den Menschenfeind*innen zu Zeigen, dass ihre Meinung weder „normal“ noch tolierierbar ist.

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