Brief Lagergemeinschaft Buchenwald/ Mittelbau-Dora an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig

Am 9. Dezember 2019 veröffentlichten wir einen Offenen Brief an die Stadt Leipzig und weitere Behörden, der mittlerweile von 36 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Vereine und Organisationen, sowie 3 Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtages unterschrieben wurde. Bis heute haben wir keine Antwort erhalten.

Wir möchten an dieser Stelle einen Brief an den Oberbürgermeister Jung veröffentlichen, den er bereits im Juli 2019 erhalten hat, auch hier gibt es bis heute keine Antwort oder Reaktion:


Erfurt, den 9. Juli 2019

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,

aus der Presse erfuhr ich, dass sich auf dem Gelände der ehemaligen HASAG- Werke Leipzig seit mehr als zehn Jahren rechte Hooligans treffen und in einer Lagerhalle ein Kampfsportstudio eingerichtet haben.

Die Stadt Leipzig hat dagegen offensichtlich bis heute nichts Wirksames unternommen, obwohl es seit einiger Zeit auch Bürgerproteste gibt.

Über diese Untätigkeit, vor allem aber über den geschichtsvergessenen und verächtlichen Umgang mit dem Leid der mehr als 5000 Frauen und Mädchen aus 27 europäischen und außereuropäischen Ländern, die hier unter menschenverachtenden Bedingungen eingesperrt waren und zur Sklavenarbeit in der Rüstungsproduktion gezwungen wurden, bin ich äußerst empört.

Ich fordere Sie, auch im Namen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e.V. auf, schnellstmöglich Maßnahmen zu treffen, um das gesamte ehemalige Produktions- und
Lagergelände der HASAG unter Schutz zu stellen.

Bei der HASAG Leipzig handelte es sich um das größte der 27 Frauenaußenlager, die vom Konzentrationslager Buchenwald vom Sommer 1944 an verwaltet wurden.

Wie die Männeraußenlager wurden sie an Standorten der deutschen Kriegsindustrie eingerichtet, wo die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten.

Diese Außenlager waren ebensolche Konzentrationslager wie Buchenwald, mit Stacheldraht umzäunt und von SS-Wachposten gesichert. In ihnen galt das gleiche Terrorregime und Strafsystem wie in Buchenwald.

Eine Besonderheit der Frauenaußenlager war, dass es den SS-Wachmannschaften verboten war, sich den Frauen zu nähern und das Lagerinnere zu betreten. Die Gefangenen wurden im Lagerbereich, auf dem Arbeitsweg und bei der Arbeit durch Aufseherinnen beaufsichtigt.

Einen generellen Unterschied in der Gewaltbereitschaft des weiblichen und männlichen Bewachungspersonals gab es nicht.
Als Mitarbeiterin der Gedenkstätte Buchenwald lernte ich in den 1990er Jahren mehrere Überlebende kennen, die in den Frauenaußenlagern der Hugo-Schneiderr AG ( HASAG), Altenburg, Meuselwitz, Schlieben und Taucha gewesen waren.
Stellvertretend für andere möchte das Schicksal einiger Frauen skizzieren:

Die Polin Danuta Brzosko- Medryk, war als Abiturientin 1940 wegen »illegalen Schulbesuchs« verhaftet und im Warschauer Gefängnis »Pawiak« inhaftiert worden. 1943 wurde sie als Mitglied der »Armia Krajowa« (Polnische Heimatarmee ) per »Schutzhaftbefehl« in das Konzentrationslager Majdanek gebracht, anschließend in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und von dort ins Frauenaußenlager HASAG-Leipzig.

Zuerst musste sie trotz schlechten Gesundheitszustandes in der Produktion von Panzerfäusten arbeiten, dann wurde sie, da sie Deutsch sprach, im Lagerschutz eingesetzt. Der Lagerschutz war das heimliche Zentrum des polnischen Widerstandes in Leipzig.

Während des Todesmarsches im April 1945 konnte sie zusammen mit mehreren Kameradinnen fliehen und überleben. Sie wurde Ärztin und erhielt für ihre unermüdliche Aktivität als Zeitzeugin und ihr Auftreten im Majdaneker Kriegsverbrecherprozess 1989 den Aachener Friedenspreis.

Die Französin Suzanne Orts, geb. Pic, war bei ihrer Verhaftung 17 Jahre alt. Zusammen mit der gesamten Familie wurde sie als Mitglied eines gaullistischen Netzwerkes der Resistance denunziert, verhaftet und in die französische Festung Perpignan eingeliefert. Anschließend folgte die Deportation nach Deutschland, zuerst in das KZ Ravensbrück und anschließend in das Buchenwalder Frauenaußenlager HASAG-Leipzig. In den letzten beiden Lagern war sie zusammen mit ihrer Mutter inhaftiert. Beide mussten in der Granatenproduktion Zwangsarbeit leisten.

Während einer der zwölfstündigen Nachtschichten geriet sie vor Müdigkeit mit den Haaren in eine rotierende Maschine, die ihr große Stücke der Kopfhaut abriss. Ein Arbeiter rettete sie vor dem Verbluten und brachte sie ins Krankenhaus. Dass sie überlebte, war ein Wunder.

Infolge der Lagerhaft litt Suzanne Pic nach der Befreiung an Tuberkulose und konnte, weder die begonnene Schulausbildung abschließen noch einen Beruf erlernen.
Sie musste – noch als junge Frau – invalidisiert werden.

Die polnische Jüdin Felicja Karay, geb. Fela Schächter, 1927 in Krakau geboren, trat schon als Schülerin in die linkszionistische Organisation »Hashomer Hazair« ein.
Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen floh sie aus Krakau, um der Einlieferung ins Konzentrationslager zu entgehen. Sie fand jedoch keinen Schutz und wurde 1943
zusammen mit zwei älteren Schwestern in das Lager Plaszow gebracht.

Danach kam sie in das von der Hugo-Schneider AG betriebene Arbeitslager Skarzysko-Kamienna (Polen) und nach dessen Auflösung im Juli 1944 nach Leipzig.

Als Jüdin gehörte sie zur untersten Häftlingsgruppe im Lager. Trotzdem organisierte sie zusammen mit Kameradinnen heimlich kleine Kulturveranstaltungen, in denen von den
Kameradinnen und ihr selbst geschriebene Gedichte vorgetragen wurden.

Nach ihrer Befreiung ging sie nach Israel und begann mit Recherchen zum jüdischen Arbeitslager Skarzsysko-Kamienna. Ihre Doktorarbeit erschien 1987 unter dem Titel »Daeth comes in yellow. Skarzsysko-Kamienna Slave Labor Camp«. Sie wurde später ins Englische und Deutsche übersetzt.

Unabhängig voneinander berichteten alle drei Frauen von einem entsetzlichen Ereignis im Sommer 1944:

Nach der Ankunft des Transportes aus Skarzsysko-Kamienna am 4. August 1944 wurde der größte Vernichtungstransport aller Buchenwalder Frauenaußenlager mit Kindern in Leipzig zusammengestellt.

Bei der Liquidierung des Lagers Skarzsysko – Kamienna waren 24 Mädchen und Jungen im Alter von 4 bis 17 Jahren mit ihren Müttern »auf Transport« geschickt worden. Alle befanden sich in einem äußerst schlechten physischen und psychischen Zustand. Wenige Tage nach ihrer Ankunft in Leipzig wurden sie einer Selektion unterzogen. Zusammen mit den Müttern wurden alle Kinder am 28. August 1944 nach Auschwitz ins Gas geschickt. Unter den Opfern befanden sich auch die 34 – jährige Mutter des »Buchenwaldkindes« Stefan Jerzy Zweig, Helena sowie dessen 13 – jährige Schwester Sylvia.

Am 1. September 2001 wurde in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald eine Ausstellung unter dem Titel »Vergessene Frauen von Buchenwald. Die Ausbeutung weiblicher KZ-Häftlinge in der Rüstungsindustrie« eröffnet.

Erstmals dokumentierte sie am Beispiel von 24 Biografien der über 27 000 Frauen und Mädchen das Leben, die gnadenlose Ausbeutung, aber auch ihren Überlebenswillen in den 27 Frauenaußenlagern des KZ Buchenwald.

Über 20 Zeitzeuginnen waren anwesend und berichteten anschließend in einem öffentlichen Forum über ihre Deportation und die verschiedenen Lager.

Am nächsten Tag besuchten sie Leipzig – Schönefeld, um die Reste des ehemaligen HASAG-Lagers zu besichtigten. In Anwesenheit von Vertretern der Stadt legten sie einen Kranz für ihre Kameradinnen nieder.

Im anschließenden Gespräch baten sie die Politiker, alles zu tun, damit sich das Schreckliche, das sie in Leipzig und anderswo erlebt hatten, nicht wiederholen kann.

Die Bitte der Frauen gebe ich an Sie, Herr Oberbürgermeister Jung, weiter.

Von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig auf dem historischen Gelände des Stammwerkes der HASAG-Leipzig wird hervorragende Arbeit zur Bewahrung des Vermächtnisses der Frauen, zum Gedenken und zur Mahnung geleistet.

Die parallele Existenz eines unter rechtsextremistischem Verdacht stehenden Kampfsportstudios stellt eine Absurdität dar, die korrigiert werden muss.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Irmgard Seidel
Stellvertretende Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora e. V.

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Stadt Leipzig wird zum Handeln aufgefordert

Leipzig, 9. Dezember 2019

34 zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Organisationen, sowie 3 Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtages forden in einem offenen Brief die Stadt Leipzig und weitere Behörden auf, gegen ein rechtsradikales Zentrum aktiv zu werden.

Mehrere Vereine, Initiativen und zivilgesellschaftliche Institutionen fordern in einem offenen Brief, konsequenter gegen einen Treffpunkt der rechtsradikalen Szene in Leipzig vorzugehen. Der offene Brief wurde von “Ladenschluss – Aktionsbündnis gegen Neonazis” initiiert, einem Bündnis welches seit 2007 in Leipzig über neonazistische Strukturen informiert und aufklärt.

Das ehemalige KZ-Außenlager wird heute durch Neo-Nazis und Hooligans genutzt.
Von Sommer 1944 bis zur Befreiung Leipzigs durch die amerikanische Armee im April 1945 befand sich in der heutigen Kamenzer Straße 10/12 das Außenlager „HASAG Leipzig“ des KZ Buchenwald. Hier waren 5000 Frauen und Mädchen inhaftiert und mussten für die Hugo-Schneider-AG Rüstungsgüter produzieren. Es war damit das größte Außenlager des KZ Buchenwald. Als „politisch“ und „jüdisch“ deportierte Polinnen bildeten die Mehrheit der Inhaftierten.

Seit 2007 befindet sich das Gelände – inklusive eines orginalen Gebäudes – in privater Hand. Seither fanden hier wiederholt Rechtsrockkonzerte und „unpolitische“ Elektropartys statt.

“Wir wollen, dass alles für die Stadt Leipzig und weitere Behörden mögliche unternommen wird, damit den Neonazis dieser Raum entzogen wird. Zudem wollen wir, dass auf dem Gelände ein Gedenkort entsteht, denn hier befindet sich eines der letzten erhaltenen orginalen Gebäude aus der Zeit der NS-Zwangsarbeit in der Stadt”, so Theresa Grün vom Ladenschlussbündnis Leipzig.

Neben dem »Imperium Fight Team«, dessen Mitglieder teilweise auch an der Attacke von Neonazis auf Connewitz im Januar 2016 beteiligt waren und die im August 2018 auch in Chemnitz präsent waren, ist zudem auch der Motorradclub „Rowdys Eastside“ in der Kamenzer Straße 10/12 ansässig. Der seit 2015 bestehende Motorradclub firmiert auch als “Bruderschaft 18” – ein Kürzel für die Initialen Adolf Hitlers –, die ungefähr zehn Mitglieder sind neonazistische Fußballfans des 1. FC Lokomotive Leipzig. Sieben Connewitz-Angreifer werden dem Motorradclub zugeordnet.

“Über Leipzig hinaus beobachten wir mit großer Sorge die zunehmende bundesweite Vernetzung neonazistischer Strukturen. Sie reicht von Kampfsportgruppen, wie dem »Imperium Fight Team«, über Modelabels, über parlamentarische Kräfte bis hin zu Gleichgesinnten in Polizei und Bundeswehr. Als Treffpunkt der regionalen militanten rechten Szene stellt die Kamenzer Straße einen Beitrag zum Aufbau einer faschistischen Vernetzung dar, die das gesamtgesellschaftliche Klima zunehmend ins völkisch-nationale verschiebt”, so Theresa Grün weiter.

Grün abschließend: “Wenn das demokratische und weltoffene Selbstbild der Stadt Leipzig nicht bloß eine Worthülse sein soll, dann kann es nicht sein, dass es von der Stadt Leipzig bis heute noch keinen offensiven Umgang mit den rechten Strukturen in der Kamenzer Straße gibt.”

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Falsche Neutralität

Für den 27. August 2019 hatte das Ladenschlussbündis zusammen mit „Rassismus Tötet!“ – Leipzig und „Irgendwo in Deutschland“ dazu aufgerufen, nach Wurzen zu fahren. Nun ist Wurzen eben nicht irgendeine Kleinstadt. Über die Versuche der dort ansässigen rechten Szene, eine Hegemonie zu schaffen, wurden an anderer Stelle schon viele Worte verloren. Kurz gesagt: Wir wollten dorthin, wo mit dem Einzug des Neonazis Benjamin Brinsa in den Stadtrat die Etablierung neonazistischer Kader und ihrer Strukturen in der Kommunalpolitik aktiv vorangetrieben wird. Dies darf nicht unkommentiert bleiben.

Schon im Voraus war klar, dass Wurzen kein leichtes Pflaster ist. Dabei sei bspw. etwa an die Bilder bewaffneter Neonazis von Januar 2018 oder den geradezu apokalyptisch wirkenden Polizeieinsatz im September 2017 zu denken. Doch das sind nur Kleinigkeiten verglichen mit den von Neonazis seit vielen Jahren kontinuierlich aufgebauten und täglich bestehenden Bedrohungsszenarien, die bereits von „Rassismus Tötet!“ zusammengefasst wurden. [1]

Für den 27. August 2019 kündigte das „Neue Forum für Wurzen“ (NFW) im Vorfeld ein „Empfangskommittee“ an, verbunden mit einem „Gesprächsangebot“. Dass dieses kaum mehr als eine weitere Provokation sein sollte, sollte eigentlich nach einem kurzen Blick auf die Äußerungen des NFW klar sein, hat NFW Stadtrat Dietel doch offensichtlich mehr Empathie für Wehrmachtssoldaten als für Diejenigen, die das Gedenken an deren Opfer pflegen übrig. Nur wenige Tage vor der ersten stadtsratssitzung nach den Kommunalwahlen im Mai 2019 lobte Dietel Benjamin Brinsa, einem weit über Wurzen hinaus durch seine Gewaltbereitschaft und rechten Umtriebe bekannten Neonazi, als einen „jungen Mann mit einer beachtlichen Lebensleistung“. Was passiert, wenn sich Menschen auf Dietels Gesprächsangebote einlassen, erzählte unter anderem NDK Geschäftsführerin Martina Glass in der taz. [2]

Das sogenannte Empfangskommittee, das neben den NFW-Stadträten Dietel und Brinsa aus biertrinkenden Neonazis aller Altersgruppen bestand, baute dann auch direkt die zu erwartende Bedrohungslage auf: aggressive, pöbelnde und fotografierende Neonazis auf allen Seiten, es wurden Parolen wie „Frei, Sozial und National“ gerufen. Doch nicht nur von den Neonazis wurde fotografiert, auch die Polizei fuhr ein geradezu absurd wirkendes Aufgebot an Kameras auf. Teilweise liefen 5-6 Polizisten mit Videokameras vor der Demo her, unterstützzt wurden diese von ihren Kolleg*innen, die die Demo aus allen Richtungen mit Spiegelreflexkameras ablichteten. Dies stand in einem starken Kontrast zu der vorherigen Aussage seitens der Behörden, dass man der Veranstaltung relativ entspannt entgegengeblicke. Hier zeigte sich einmal wieder deutlich, dass Antifaschismus in Sachsen von offiziellen Stellen als Bedrohung wahrgenommen wird – während sich die Neonazis relativ ungestört am Rande der Demo aufhalten, fotografieren, zum Teil vermummen und mehrfach Hitlergrüße zeigen konnten. Eben solche Repressionen von staatlicher Seite gegenüber dem antifaschistischen Protest passt allzugut zusammen mit einer seit dreißig Jahre währenden CDU Regierung in Sachsen, die Rassismus und neonazistische Gewalt bei jeder Gelegenheit relativiert und somit erst hoffähig gemacht hat und weiterhin macht.

Wie bereits erwähnt, wurde das Bedrohungsszenario nicht unsererseits aufgebaut: Benjamin Brinsa sprach Demoteilnehmer*innen provokativ mit Namen an, ein älterer Mann drohte einem Journalisten mit dem Tod, sollte dieser nicht ein Foto löschen und ein pöbelnder junger Neonazis am Rande forderte lautstark, dass die Gaskammern doch endlich für uns wieder in Betrieb genommen werden sollten. In der Leipziger Volkszeitung, die über die Demo berichtete, war von alledem nichts zu lesen. Stattdessen wurde angemerkt, dass sich „die Antifa aus Furcht vor den Kameras“ abduckte und Wurzener*innen sich über die Verschwendung von Steuergeldern beschwert hätten. Und auch der amtierennde Oberbürgermeister Röglin wollte offenkundig schnell zur Tagesordnung übergehen, als er Benjamin Brinsa mit einem freundschaftlich anmutenden Handschlag ins Wurzener Stadthaus hinein bat. All dies war für uns zwar wenig überraschend und doch zeigte sich einmal wieder sehr deutlich, wieso antifaschistischer Protest in Städte wie Wurzen getragen werden muss. Die Ergebnisse der säschsischen Landtagswahlen unterstreichen noch einmal wie wichtig antifaschistischer Protest ist, besteht doch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Erfolg der AfD, der Normalisierung rechter Weltbilder und der Etablierung rechter Strukturen in den Parlamenten. Umso mehr gilt es den rechten Konsens zu stören und den Menschenfeind*innen zu Zeigen, dass ihre Meinung weder „normal“ noch tolierierbar ist.

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Aufruf Demo Wurzen

Keine Stimme den Faschos. Den rechten Foren den Raum nehmen!

„Wir wollen Meinung bilden und einen Gegenpol setzen, in einer Stadt, in der sich besonders linke Aktivisten gezielt in die Öffentlichkeit stellen, Wurzen in ein schlechtes Licht zu rücken und so ihre Daseinsberechtigung durchsetzen wollen.“

So begründeten die Betreiber/innen einer rechten Facebook-Seite ihr vermeintliches politisches Engagment in Wurzen. Dieser rechte Kontext ist dabei nur einer, der das Aufkommen und Agieren des »Neue Forum für Wurzen« NFW im März 2018 den Weg ebnete. Als ausschlaggebend für die Gründung des rechten Sammelbeckens wird eine angebliche „linke Meinungshegemonie“ angeführt. Jedoch ist das NFW als weiterer Versuch anzusehen, rechte und rassistische Einstellungen innerhalb der Wurzener Bevölkerung zu bündeln und dem Ganzen einen scheinbar demokratischen Anstrich zu verpassen. Man erhofft sich dadurch, Diskurse und Auseinandersetzungen nach rechts zu verschieben und inhumaner zu gestalten.

Das »Neue Forum für Wurzen« …
… sieht sich in der Tradition des Neuen Forums, einer 1989 in der DDR gegründeten Bürger*innenbewegung, die die Zeit 1989/90 mitprägte. Das NFW versteht sich als Stimme der scheinbar ungehörten Wurzener*innen und gibt sich als Kämpfer für Meinungsfreiheit und Demokratie aus. Wobei es den Oberbürgermeister Jörg Röglin sowie das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) als seine Gegner*innen markiert. Das NFW hetzt dabei gezielt gegen Geflüchtete und vermeintlich offene Grenzen, da es erkannt haben will, dass „die Stadt auf Wunsch der Regierung „neu bevölkert“ werden solle – wohinter sich die Erzählung eines angeblichen Bevölkerungsaustausches verbirgt. Dieses Narrativ spielt eine zentrale Rolle im rechten Denken. Dahinter steckt nicht nur die Angst vor einem angeblichen Volkstod, sondern ebenso das völkische Ansinnen nach der Reinhaltung der weißen „Rasse“ sowie das Streben nach Erweiterung des eigenen, weißen, deutschen Lebensraumes.

… und das Vorgehen gegen das NDK
Hinter den „linke[n] Aktivisten[, die sich] gezielt in die Öffentlichkeit stellen, [um] Wurzen in ein schlechtes Licht zu rücken“ erkennt das NFW vor allem das NDK, das sich für Geflüchtete einsetzt und seit Jahren engagiert, den rechten Machtbestrebungen in und um Wurzen etwas entgegenzusetzen. Das NDK wird dabei als Verein konstruiert, der städtisch und staatlich gelenkt sei und die Meinungsfreiheit in Wurzen unterdrücke. Wobei die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch das NDK laut NFW schon damit beginnt, dass dieses die Kritik an der „vorwiegend muslimische[n] Zuwanderung“ als rechts und rassistisch benennt. Die Meinungsfreiheit des NDK und Anderer endet folglich dort, wo sich das NFW in der eigenen Position und Wahrnehmung angegriffen fühlt.

Seit Bestehen des NFW wird eine gezielte und andauernde Kampagne gegen das NDK gefahren: Neben einer Petition mit dem Ziel, die städtische und staatliche Förderungen des NDK zu streichen, kommen wiederholte (AfD-Landtags-)Anfragen zur Förderung und Finanzierung des NDK hinzu. Diese sollen das von Rechten kolportierte Bild der sogenannten „Staatsantifa“ bestätigen. Diesen verbalen Anfeindungen und Diffamierungen seitens des NFW folgten wiederholte Angriffe auf die Räume des NDK, mit teils erheblichem Sachschaden.

Das NDK gilt als ein (Frei-)Raum für die Unterstützung von Geflüchteten, als Raum für subkulturelle Konzerte und Ort für Veranstaltungen, Begegnungen und des Austausches. Das NFW sowie sein Umfeld – rechte Gruppierungen, die AfD und auch die CDU – wollen diese Struktur angreifen und zerstören. Am einfachsten gelingt so etwas durch Streichung finanzieller Mittel, was auch die AfD-Fraktionen und rechte Mandatsträger/innen auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) durch Anfragen und Anträge bereits vorbereiten oder umsetzen wollen. Dadurch behindern sie gezielt das Arbeiten diverser zivilgesellschaftlicher Projekte.

… und die AfD im Stadtrat Wurzens
Bei den Stadtratswahlen am 26. Mai 2019 erlangten zwei aus dem rechten Kontext stammende Parteien sieben Sitze: Die AfD erhielt vier Sitze (15,7% der Stimmen), das NFW drei (11%). Dies bedeutet mehr als ein Viertel der 26 Sitze im Stadtrat von Wurzen. Beide Parteien haben so jeweils Fraktionsstärke und eine zukünftige Zusammenarbeit wurde durch deren Vertreter*innen mehr als nur angedeutet. Das NFW kündigte bereits an, „gegen ‚Vetternwirtschaft‘ vorgehen zu wollen“ und wird dabei wohl nicht nur das NDK in den Fokus seiner Auseinandersetzung rücken, sondern auch andere ihnen unliebsame Projekte – so äußerten sie sich ebenfalls abfällig gegenüber den Sozialarbeiter*innen in Wurzen, städtischen Klimabemühungen sowie einem hiesigen Frauenprojekt.

Inwieweit die bisher im Stadtrat vertretenen Parteien dies unterstützen werden, ist momentan nicht auszumachen. Jedoch lässt die Äußerung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Matthias Riedler nichts Gutes erahnen: So hofft er, im neu zusammengesetzten Stadtrat auch weiterhin „gute Sacharbeit zum Wohle der Stadt Wurzen“ durchführen zu können. Damit umgeht er eine klare Position im Umgang mit der AfD und dem NFW und schließt eine (themenbezogene) Zusammenarbeit nicht aus.

Auch im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen (Sonntag, 1. September) ist ein Wahlerfolg der AfD ebenso wenig auszuschließen wie ein Tolerieren der AfD durch die CDU im Nachgang der Wahl. Das Agieren der AfD, ob mit oder ohne Regierungsverantwortung, kann erhebliche Probleme schaffen, da u.a. Geflüchteten- und zivilgesellschaftliche Projekte, Frauenhäuser oder auch der Kunst- und Kulturbetrieb staatlicher Förderung bedürfen. Die AfD möchte jedoch genau diese finanziellen Mittel streichen und für ihre eigene völkische wie misogyne Programmatik nutzen. Exemplarisch hierfür können die ÖVP/FPÖ-Regierung in Österreich, das Vorgehen der PiS in Polen oder die Entwicklungen unter Orban in Ungarn angesehen werden: Die Faschisierung der Gesellschaft erfolgt zum Nachteil der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen*, Geflüchteten und von Armut betroffener Menschen.

… agiert mit Brinsa im rechten Milieu
Mit dabei im neuen Wurzener Stadtrat ist Benjamin Brinsa für das NFW. Brinsa ist Betreiber des neonazistischen Kampfsportvereins »Imperium Fight Team« sowie Teil der Hooligan-Szene vom 1. FC Lokomotive Leipzig. Zugleich waren mehrere Neonazis des »Imperium Fight Team« Teil der Gruppe mit mehr als 250 Neonazis, die im Januar 2016 eine Straße in Connewitz angriffen. Diese Neonazis beteiligten sich ebenfalls an den rassistischen Aufmärschen in Chemnitz im August 2018, bei denen es auch immer wieder zu rechten Übergriffen gekommen ist. Rechte die beim »Imperium Fight Team« trainieren, waren im Nachgang an ein Spiel gegen den Roten Stern Leipzig im Mai 2019 an einem Angriff auf das NDK beteiligt. Zudem waren weitere Neonazis, die bei »Imperium« trainieren an dem gewalttätigen und rassistisch-motivierten Übergriff auf einen senegalesischen Türsteher in einer Disco auf Mallorca beteiligt. Der „Reisegruppe“ im Juni 2019 auf Mallorca sollen 70 Personen aus dem Umfeld von Lok Leipzig sowie dem »Imperium Fight Team« angehört haben.

Situation in der Kamenzer Straße
Trainingsstätte des »Imperium Fight Team« ist seit 2017 die Kamenzer Straße 10 in Leipzig-Schönefeld. Vom Sommer 1944 bis April 1945 befand sich in der heutigen Kamenzer Straße 10/12 und dem angrenzenden Areal das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Über 5000 Frauen und Mädchen mussten für den Rüstungskonzern Hugo-Schneider-AG (HASAG) schwere Zwangsarbeit leisten. Dabei handelte es sich primär um als „politisch“ und „jüdisch“ deportierte Polinnen. Viele überlebten die lebensunwürdigen Bedingungen des Lagers nicht. Seit 2007 befindet sich der historische Ort im Besitz einer Person, die seit Jahrzehnten Verbindungen in die Neonazi-Szene unterhält. Hier fanden und finden rechte Konzerte, aber auch „unpolitische“ Elektropartys statt. Organisierte Neonazis, Rocker und Hooligans nutzen die Gebäude zur Vernetzung und als Lagerort für ihre Infrastruktur.

Rechte Gewalt in Wurzen
Doch auch ohne das Bestehen des NFW existiert seit jeher ein Problem mit neonazistischen Strukturen und von ihnen ausgehender Gewalt. Der rechte Terror in Wurzen hält weiter an. Immer wieder werden geflüchtete Menschen in der Stadt bedroht, verfolgt und verletzt. Auch das NDK wurde seit seiner Gründung mehrmals angegriffen. So wurde bereits 2004 ein Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des NDK verübt. Das Ziel der Neonazis ist es, alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, aus der Stadt zu vertreiben. An diesem Ziel werden sie von der Stadtverwaltung und der Polizei nicht gehindert.

Den Rechten den Einzug vermiesen
Am 27. August findet die erste Sitzung des Wurzener Stadtrats nach der Kommunalwahl im Mai 2019 statt. Das NFW ruft an diesem Tag zu einem „kleine[n] Freiheitsfest“ auf. Hierfür wollen die Rechten vom Marktplatz aus ins Rathaus marschieren. Diesen Aufzug gilt es nicht unwidersprochen zu lassen. Kommt daher am Dienstag, 27. August 2019, nach Wurzen, um den Rechten ihr „Freiheitsfest“ zu vermiesen.

Beginn der Demonstration ist 16:30 Uhr am Bahnhof in Wurzen. Für Anreisende per Zug aus Leipzig: Es gibt einen Zugtreffpunkt – 15:40 Uhr am Infopoint im Hauptbahnhof. Der Zug fährt Richtung Wurzen an Gleis 21 um 16:00 Uhr ab.

Den Faschist/innen keinen Raum – nicht auf der Straße, nicht im Stadtrat/Parlament und auch nicht im Diskurs.

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Audiobeiträge zum historischen Ort Kamenzer Straße

Auf der Demonstration am 15.06.2019 waren immer wieder kurze Beiträge zu hören, die sowohl die Geschichte als auch die aktuelle Situation in der Kamenzer Straße 10/12 thematisierten.
Zum Nachhören stellt das Ladenschlussbündnis nun diese Beiträge online. Los geht es mit den Beiträgen, die sich mit dem historischen Ort befassen. Mehr zur aktuellen Nutzung folgt später.

Hugo Schneider Aktiengelsellschaft(HASAG)
1863 als Lampen- und Metallwarenfabrik gegründet, produzierte die Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) bereits im 1.Weltkrieg Munition für das Heer. Ab 1933 produzierte die HASAG für die Wehrmacht und war als „NS-Musterbetrieb“ eng mit der Ideologie des Nationalsozialismus verwoben.


KZ-Außenlager
Ab Sommer 1944 unterhielt die HASAG mehrere KZ-Außenlager in Sachsen, eines davon in Leipzig in der Kamenzer Straße. Das System der Ausbeutung und Vernichtung rückte somit unumstößlich in das Bewusstsein der Zivilbevölkerung.


Verfolgung
Ein Großteil der in der Kamenzer Straße eingesperrten Frauen und Mädchen hatten eine langjährige Geschichte der Verfolgung und Ausgrenzung hinter sich als sie nach Leipzig kamen. Sei es auf Grund von politischem Engagement oder rassistischer Verfolgung.

Täter_innen damals
Wie auch andern Orts wurde ein Großteil der Täter_innen aus dem KZ-Außenlager HASAG nach 1945 nicht juristisch belangt.

Besucher_innen
Immer wieder wollen Überlebende oder ihre Verwandten den historischen Ort besuchen, können dies jedoch aufgrund der aktuellen Nutzung nicht angstfrei tun.

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