Am 28. Februar diesen Jahres erhielten wir eine Antwort auf unseren offenen Brief vom 9. Dezember 2019. Zunächst begrüßen wir es, dass die Stadt sich grundsätzlich dahingehend positioniert, die aktuelle Nutzung der Kamenzerstraße 10/12 „nicht dulden“ zu wollen. Was die Benennung von konkreten Maßnahmen anbelangt, verbleibt die Antwort des OBM Jung allerdings mehr als vage, was wir im Folgenden noch einmal herausstellen möchten.
Auch wenn „die Mühlen der Verwaltung langsam mahlen“ sind mittlerweile zwölf Jahre vergangen, seit die ersten Neonazi-Aktivitäten auf dem Gelände bekannt wurden. Dementsprechend hätte die Stadt – und auch OBM Jung, der seit 2006 im Amt ist – bereits seit Jahren die Gelegenheit gehabt, aus Eigeninitiative zu handeln. Dass eine Thematisierung der Situation in der Kamenzer Straße 10/12 vonseiten der Stadt erst nach einem offenen Brief und dem damit verbundenen öffentlichen Druck erfolgte, ist insbesondere problematisch wenn es heißt: „Die Stadtverwaltung Leipzig weiß um die Verbrechen, die auf dem Gelände in Leipzig-Schönefeld […] während der Zeit des Nationalsozialismus geschehen sind.“ Wir fragen uns außerdem, von welchem Vorgehen der OBM spricht, wenn geschrieben wird: „Die Stadtverwaltung wird daher auch weiterhin versuchen, Aktivitäten dieser Nutzer auf dem Gelände zu unterbinden.“ Wenn hiermit die Polizei gemeint ist, dann erscheint uns dieser Umgang mehr als ungenügend: Diese hat zwar in der Vergangenheit einige neonazistische Veranstaltungen aufgelöst, dennoch kann dies nicht als Strategie angesehen werden, der Nutzung des Geländes durch Faschist_innen dauerhaft entgegenzutreten. (Zumal bekannt ist, dass Verbindungen einiger Beamter der Leipziger Polizei zu den Nutzern der Kamenzer Straße bestehen.)
Die Stadt möchte in ihrem Engagement „einen Schulterschluss von Verwaltung und Bürgerschaft.“ Dass in Abstimmung mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen darüber diskutiert werden soll, wie an diesem Ort ein würdiges Gedenken umgesetzt werden kann, halten wir für sinnvoll. Dennoch wollen wir betonen, dass es in erster Linie in der Verantwortung der Stadt liegt, die eigene nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Dafür müssen Gelder bereitgestellt werden, die die Arbeit von Historiker_innen ermöglichen. Die Stadt Leipzig verfügt über die notwendigen finanziellen Ressourcen und auch die verwaltungstechnischen Mittel, um hier zu handeln. Nach dem Lesen der Antwort des OBM befürchten wir allerdings, dass ein solches Bemühen auf rein ehrenamtliches Engagement abgewälzt werden könnte. Im Gegenteil wünschen wir uns aber ein proaktives Vorgehen der Stadt, welche öffentliche Institutionen wie beispielsweise die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig oder die Jüdische Gemeinde miteinbezieht.
Wir verbleiben gespannt, wie die im Brief angekündigten „fachübergreifend verschiedenen Ansatzpunkte“ aussehen werden und ob diese vor allem auch zeitnah umgesetzt werden. Darüber hinaus hoffen wir, dass die Öffentlichkeit in Zukunft regelmäßig und auf Initiative der Stadt über das aktuelle Vorgehen informiert und somit Transparenz geschaffen wird.
Im Folgenden dokumentieren wir die Antwort des OBM auf unseren offenen Brief:
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Ladenschluss-Bündnisses,
sehr geehrter Erstunterzeichner des offenen Briefes zur Erinnerung an das Frauen-KZ,der komplexen Zusammenhänge des Ortes Kamenzer Straße 10/12 wegen bitte ich um Verständnis, dass eine schnelle Reaktion auf Ihren offenen Brief nicht möglich war.
Die Stadtverwaltung Leipzig weiß um die Verbrechen, die auf dem Gelände in Leipzig-Schönefeld und im heute noch stehenden Gebäude des ehemaligen KZ-Außenlagers während der Zeit des Nationalsozialismus geschehen sind. Sie weiß um das Leid der Tausenden dort gequälten Frauen. Und sie ist sich der städtischen Verantwortung um einen angemessenen Umgang mit dieser Vergangenheit bewusst.
Die Leipziger Stadtverwaltung stellt sich klar gegen jedes nationalsozialistischen, menschenfeindliche und gewaltbereite Wirken in der Stadt. Einige der heutigen Nutzer des Geländes Kamenzer Straße 10/12 werden vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Es ist skandalös und unerträglich, dass gerade an einem Ort nationalsozialistischer Verbrechen wieder militante Rechte aktiv sind. Wir wollen das nicht dulden! Die Stadtverwaltung wird daher auch weiterhin versuchen, Aktivitäten dieser Nutzer auf dem Gelände zu unterbinden.
Die Stadtverwaltung ist um ein würdiges Gedenken am ehem. Frauen-KZ bemüht und wird sich dafür einsetzen, dass dieser Ort zu einem Gedenkort wird. Dies wird sie auch unabhängig davon tun, ob die Obere Denkmalschutzbehörde in Sachsen Teile des Geländes der Kamenzer Straße 10/12 zu einem Kulturdenkmal erklären wird.
Derzeit stimmen sich die Fachämter der Stadtverwaltung intern zum Thema ab. Geprüft werden fachübergreifend verschiedene Ansatzpunkte, um auf dem Gelände einen Gedenkort zu errichten und um damit unvereinbare Nutzungen dort zu unterbinden.
In Kürze wir die Stadtverwaltung auf die Verantwortlichen des Ladenschluss-Bündnisses und weitere Aktive aus der Zivilgesellschaft zugehen, um gemeinsam und vielfältig einen dem Ort und seiner Geschichte angemessenen Umgang zu etablieren. Denn es ist für uns selbstverständlich, dass es beim Engagement für eine freie, tolerante und geschichtsbewusste Stadtgesellschaft einen Schulterschluss von Verwaltung und Bürgerschaft geben muss.
Mit freundlichen Grüßen,
Burkhard Jung