Antifaschistischer Gedenrundgang nach Markleeberg und Gaschwitz: Redebeitrag zum ehemaligen KZ-Außenlager am Equipagenweg

Im Equipagenweg, am sogenannten „Wolfswinkel“, entstand 1944 das KZ-Außenlager Markkleeberg. Es war eines von insgesamt acht Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald im Raum Leipzig.

Das KZ-Außenlager Markkleeberg gehörte zur Firma Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG Dessau. Die Firma produzierte Flugzeuge für die deutsche Luftwaffe und war einer der bedeutendsten Rüstungsbetriebe im Zweiten Weltkrieg. Ab 1943 baute der Betrieb seinen Standort in Markkleeberg aus, dafür wurden weitere, vor allem billige Arbeitskräfte benötigt.

Ab Herbst 1943 wurde im Equipagenweg ein Barackenlager mit insgesamt 7 Baracken für weibliche KZ-Häftlinge errichtet. Der Großteil der in diesem Lager inhaftierten Frauen und Mädchen waren ungarische Jüdinnen, die im Jahr 1944 von Auschwitz-Birkenau nach Markkleeberg deportiert wurden. Im Februar 1945 wurden zudem 125 französische Widerstandskämpferinnen in das Lager gebracht. Insgesamt waren dort über 1500 Frauen und Mädchen bis zur Auflösung des Lagers inhaftiert.

Das Lager wurde außen von SS-Männern und innen von weiblichen KZ-Aufseherinnen bewacht. Der Kommandoführer des Lagers war der SS-Oberscharführer Alois Knittel, der aufgrund seiner Brutalität besonders gefürchtet war.

Die Häftlinge wurden in Tag- und Nachtschichten in der Fertigung von Flugzeugtriebwerken bei der Firma Junkers eingesetzt. Ein Teil der Häftlinge musste auch lagerinterne Arbeiten übernehmen, andere wurden in einem Baukommando eingesetzt.

Unter den Häftlingen des Lagers war auch die 1930 geborene ungarische Jüdin Zahava Stessel. Im Mai 1944 wurde ihre gesamte Familie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wurden alle Familienmitglieder außer Zahava und ihre ein Jahr jüngere Schwester ermordet.
Zahava und ihre Schwester wurden als „arbeitsfähig“ selektiert und Anfang Dezember 1944 zusammen mit 300 weiteren ungarischen Jüdinnen über Bergen-Belsen nach Markkleeberg deportiert.

2009 erschien Zahava Stessels Buch: „Snowflowers“, in dem sie detailliert das Lager und die Lebens- und Arbeitsbedingungen schildert. Im Folgenden wollen wir einige Stellen aus ihren Erinnerungen zitieren:

„Ein gepflasterter Zugang führte von der Straße ins Lager hinein. Auf der anderen Seite waren kleine Häuser; (…). Es gab Wachtürme an drei Ecken des Zauns und große Suchscheinwerfer. Elektrisch geladener Stacheldraht umgab das Lager.“. Die Baracken seien „ungeheizt, kalt und feucht“gewesen.

„Die zweistöckigen Etagenbetten bestanden aus dünnen Holzleisten (…). Jedes hatte einen Strohsack als Matratze. Mit weiteren ankommenden Transporten wurde der Platz knapper (…).“

Zahava wurde anfangs nicht in der Flugzeugfertigung eingesetzt. Zu groß war die Angst der Deutschen, dass neu ins Lager gebrachte Häftlinge Krankheiten mitbringen würden. Zahava musste stattdessen Schwerstarbeit in einem nahegelegenen Steinbruch verrichten:

„Die Arbeit in jenen Kommandos war körperlich eines der härtesten Dinge, die wir zu ertragen hatten. Der Steinbruch war ein berüchtigter Ort, geschaffen für besondere und ungestörte Mißhandlung durch die SS. Die Frauen schufteten in der bitteren Kälte ohne jegliche Art von Schutzkleidung. (…). Die Arbeit war nicht nur körperlich zermürbend, sondern auch gefährlich. (…). (….). Der Steinbruch war nicht weit von den Baracken, auf der anderen Seite der Straße. (…) Vor Angst und Kälte schlotternd, lehnten wir auf unseren Schaufeln und Hacken, um etwas zu rasten. Knittel rannte zu uns (…). Ihm reichte unsere Arbeit nicht, weshalb er begann in alle Richtungen zu schlagen. Ich fühlte das Ende der Peitsche auf meinem Rücken und es schmerzte schrecklich (….).“

Auch im Lager waren die Häftlinge ständig der Gewalt durch die SS ausgesetzt, so erinnert sich Zahava Stessel an die täglichen stundenlangen Appelle:

„Es war qualvoll, stundenlang stillzustehen. Unsere Beine schmerzten in der starren, unbeweglichen Stellung. Für die Kranken konnte es lebensbedrohlich sein. (…). (…). Schließlich kam Knittel (…). Wie die Aufseherinnen benutzte er seinen Stock, um zu schlagen, wenn ihm das Aussehen eines Arbeitsanzuges nicht gefiel oder die Art, wie jemand stand.“

„Unsere Gedanken drehten sich ständig um das Essen. (…). Nahrungsbeschaffung und Arbeit dominierten unsere Existenz.“

„Nichts gehörte uns mehr. Die Deutschen nahmen unsere Kleidung, die Schuhe, unsere Haare und Namen. Wir hatten immer Hunger, waren durchweg müde, dreckig und in einem Zustand der Erschöpfung (..). Die meiste Zeit waren wir (…) ernsthaft krank.“

Am 13. April 1945 wurde das Lager aufgelöst und die Häftlinge von der SS auf einen sogenannten Todesmarsch getrieben. Viele Häftlinge brachen währenddessen kraftlos am Straßenrand zusammen oder wurden von der SS erschlagen oder erschossen. Einigen Häftlingen gelang die Flucht, andere wurden erst nach 2 oder 3 Wochen von den Alliierten befreit.

Zahava Stessel überlebte die Shoa. Nachdem sie nach dem Krieg zunächst nach Ungarn zurückkehrte, wanderte sie später erst nach Israel und später in die USA aus. Zahava Stessel lebt heute in New York.

Der Lagerkommandant und die Aufseher und Aufseherinnen des KZ-Außenlagers Markkleeberg wurden nie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Ein in den 1960er Jahren eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde 1971 eingestellt.

Das ehemalige Lagergelände ist heute noch vom Grundriss her erkennbar. Einige der ehemaligen Baracken sind noch erhalten, sie werden seit 1945 für Gewerbe genutzt.

Zu DDR-Zeiten wurde ein erster Gedenkstein vor Ort errichtet. 1998 wurde dieser auf Initiative einer Überlebenden aus Israel von der Stadt Markkleeberg mit einer neuen Gedenktafel versehen. Zahava Stessel besuchte anlässlich der Einweihung der Gedenktafel 1998 erstmals wieder Markkleeberg und das ehemalige Lagergelände.

Das KZ-Außenlager Markkleeberg und die hier an den Frauen und Mädchen begangenen Verbrechen passierten direkt vor den Augen der Bevölkerung, inmitten deren Alltag und vor deren Haustür. Doch wie vielerorts herrschte auch in Markkleeberg nach dem Krieg Schweigen, laut Zahava Stessel behaupteten viele Einwohner_innen nach 1945, sie hätten von dem Lager nichts gewusst. Sie selbst erinnere sich aber noch sehr genau an die Wohnhäuser neben dem Lager, deren Bewohner von den Balkonen Blick auf den Appellplatz hatten.

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Antifaschistischer Gedenkrundgang on Bikes: 6. August um 17 Uhr, Selneckerstraße/Kirchvorplatz

Leipzig und auch Markleeberg, waren wichtige Zentren der Rüstungsindustrie während des Nationalsozialismus. Zwischen 1939 und 1945 zwangen die Nationalsozialist_innen mehr als 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa zur Arbeit für die deutsche Wirtschaft, 100.000 waren es allein in Leipzig. Ein System von KZ-Außenlagern entstand innnerhalb und im Umkreis der Stadt. Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit geht von 700 Zwangsarbeitsstätten im Großraum Leipzig aus.

Wir wollen mit euch nach Markleeberg, um den Opfern der NS-Zwangsarbeit an den Orten der Verbrechen zu Gedenken. Am Equipagenweg, dem Standort eines Frauenaußenlager des KZ Buchenwald werden wir uns auszugsweise dem Bericht der Überlebenden Zahava Stessel zuwenden. Wir wollen auch an die Opfer des heutigen rechten Terrors erinnern, sowie über die Täter_innen informieren.

Schnappt euch eure Fahrräder und Freund*innen und kommt zu einer antifaschistischen Gedenk- und Fahrradtour. Bringt Fahnen, Getränke und Sonnenmilch mit.

6. August um 17 Uhr
Selneckerstraße/Kirchvorplatz

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Antwort des OBM auf offenen Brief

Am 28. Februar diesen Jahres erhielten wir eine Antwort auf unseren offenen Brief vom 9. Dezember 2019. Zunächst begrüßen wir es, dass die Stadt sich grundsätzlich dahingehend positioniert, die aktuelle Nutzung der Kamenzerstraße 10/12 „nicht dulden“ zu wollen. Was die Benennung von konkreten Maßnahmen anbelangt, verbleibt die Antwort des OBM Jung allerdings mehr als vage, was wir im Folgenden noch einmal herausstellen möchten.

Auch wenn „die Mühlen der Verwaltung langsam mahlen“ sind mittlerweile zwölf Jahre vergangen, seit die ersten Neonazi-Aktivitäten auf dem Gelände bekannt wurden. Dementsprechend hätte die Stadt – und auch OBM Jung, der seit 2006 im Amt ist – bereits seit Jahren die Gelegenheit gehabt, aus Eigeninitiative zu handeln. Dass eine Thematisierung der Situation in der Kamenzer Straße 10/12 vonseiten der Stadt erst nach einem offenen Brief und dem damit verbundenen öffentlichen Druck erfolgte, ist insbesondere problematisch wenn es heißt: „Die Stadtverwaltung Leipzig weiß um die Verbrechen, die auf dem Gelände in Leipzig-Schönefeld […] während der Zeit des Nationalsozialismus geschehen sind.“ Wir fragen uns außerdem, von welchem Vorgehen der OBM spricht, wenn geschrieben wird: „Die Stadtverwaltung wird daher auch weiterhin versuchen, Aktivitäten dieser Nutzer auf dem Gelände zu unterbinden.“ Wenn hiermit die Polizei gemeint ist, dann erscheint uns dieser Umgang mehr als ungenügend: Diese hat zwar in der Vergangenheit einige neonazistische Veranstaltungen aufgelöst, dennoch kann dies nicht als Strategie angesehen werden, der Nutzung des Geländes durch Faschist_innen dauerhaft entgegenzutreten. (Zumal bekannt ist, dass Verbindungen einiger Beamter der Leipziger Polizei zu den Nutzern der Kamenzer Straße bestehen.)

Die Stadt möchte in ihrem Engagement „einen Schulterschluss von Verwaltung und Bürgerschaft.“ Dass in Abstimmung mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen darüber diskutiert werden soll, wie an diesem Ort ein würdiges Gedenken umgesetzt werden kann, halten wir für sinnvoll. Dennoch wollen wir betonen, dass es in erster Linie in der Verantwortung der Stadt liegt, die eigene nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Dafür müssen Gelder bereitgestellt werden, die die Arbeit von Historiker_innen ermöglichen. Die Stadt Leipzig verfügt über die notwendigen finanziellen Ressourcen und auch die verwaltungstechnischen Mittel, um hier zu handeln. Nach dem Lesen der Antwort des OBM befürchten wir allerdings, dass ein solches Bemühen auf rein ehrenamtliches Engagement abgewälzt werden könnte. Im Gegenteil wünschen wir uns aber ein proaktives Vorgehen der Stadt, welche öffentliche Institutionen wie beispielsweise die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig oder die Jüdische Gemeinde miteinbezieht.

Wir verbleiben gespannt, wie die im Brief angekündigten „fachübergreifend verschiedenen Ansatzpunkte“ aussehen werden und ob diese vor allem auch zeitnah umgesetzt werden. Darüber hinaus hoffen wir, dass die Öffentlichkeit in Zukunft regelmäßig und auf Initiative der Stadt über das aktuelle Vorgehen informiert und somit Transparenz geschaffen wird.

Im Folgenden dokumentieren wir die Antwort des OBM auf unseren offenen Brief:

Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Ladenschluss-Bündnisses,
sehr geehrter Erstunterzeichner des offenen Briefes zur Erinnerung an das Frauen-KZ,

der komplexen Zusammenhänge des Ortes Kamenzer Straße 10/12 wegen bitte ich um Verständnis, dass eine schnelle Reaktion auf Ihren offenen Brief nicht möglich war.

Die Stadtverwaltung Leipzig weiß um die Verbrechen, die auf dem Gelände in Leipzig-Schönefeld und im heute noch stehenden Gebäude des ehemaligen KZ-Außenlagers während der Zeit des Nationalsozialismus geschehen sind. Sie weiß um das Leid der Tausenden dort gequälten Frauen. Und sie ist sich der städtischen Verantwortung um einen angemessenen Umgang mit dieser Vergangenheit bewusst.

Die Leipziger Stadtverwaltung stellt sich klar gegen jedes nationalsozialistischen, menschenfeindliche und gewaltbereite Wirken in der Stadt. Einige der heutigen Nutzer des Geländes Kamenzer Straße 10/12 werden vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Es ist skandalös und unerträglich, dass gerade an einem Ort nationalsozialistischer Verbrechen wieder militante Rechte aktiv sind. Wir wollen das nicht dulden! Die Stadtverwaltung wird daher auch weiterhin versuchen, Aktivitäten dieser Nutzer auf dem Gelände zu unterbinden.

Die Stadtverwaltung ist um ein würdiges Gedenken am ehem. Frauen-KZ bemüht und wird sich dafür einsetzen, dass dieser Ort zu einem Gedenkort wird. Dies wird sie auch unabhängig davon tun, ob die Obere Denkmalschutzbehörde in Sachsen Teile des Geländes der Kamenzer Straße 10/12 zu einem Kulturdenkmal erklären wird.

Derzeit stimmen sich die Fachämter der Stadtverwaltung intern zum Thema ab. Geprüft werden fachübergreifend verschiedene Ansatzpunkte, um auf dem Gelände einen Gedenkort zu errichten und um damit unvereinbare Nutzungen dort zu unterbinden.

In Kürze wir die Stadtverwaltung auf die Verantwortlichen des Ladenschluss-Bündnisses und weitere Aktive aus der Zivilgesellschaft zugehen, um gemeinsam und vielfältig einen dem Ort und seiner Geschichte angemessenen Umgang zu etablieren. Denn es ist für uns selbstverständlich, dass es beim Engagement für eine freie, tolerante und geschichtsbewusste Stadtgesellschaft einen Schulterschluss von Verwaltung und Bürgerschaft geben muss.

Mit freundlichen Grüßen,

Burkhard Jung

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75 Jahre Befreiung von Leipzig: Für ein würdiges Gedenken! Überall!

Dieser Tage wird wieder einmal debattiert, ob der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus ein gesetzlicher Feiertag werden soll. Die Initiative geht auf den, aktuell auch durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit akut bedrohten, VVN-BdA zurück. Die wohl prominenteste Fürsprecherin ist die Auschwitzüberlebende Esther Bejerano. Die Stadt Leipzig, und damit auch die Leipziger Konzentrations- und Zwangsarbeitslager, wurden bereits am 18. April 1945 durch die US-Army befreit. Kurz vorher ermordeten jedoch SS- und Volkssturmtruppen die im KZ-Außenlager Leipzig-Thekla verbliebenen Häftlinge, die den Strapazen eines sogenannten „Todesmarsches“ körperlich nicht mehr gewachsen waren. Sie wurden in eine Baracke eingesperrt und diese in Brand geschossen. Truppen der US-Army fanden, als sie das Lager Stunden später betraten, die teils noch um ihr Leben kämpfenden Häftlinge. Die wenigsten überlebten.

Heute erinnert ein aus DDR-Zeiten stammender Gedenkstein am ehemaligen Ort des Geschehens an das „Massaker von Abtnaundorf“. Der gemäß dem in der DDR dominanten Narrativ eines „antifaschistischen Kampfes gegen den Faschismus“ gestaltete Gedenkstein machte aus den grundlos Inhaftierten heldenhafte Widerstandkämpfer*innen und integrierte sie so in ein nationales, deutsches Gedenken. Mittlerweile finden sich am selben Ort auch eine Gedenktafel mit Hintergrundinformationen (seit 2017) und eine Installation, die die Namen der bekannten Opfer des KZ Leipzig-Thekla und des Massakers nennt.

Anders ist die Lage in der heutigen Kamenzer Straße: Auf dem Gelände der Kamenzer Straße 10/12 befand sich bis 1945 ein Teil des KZ-Außenlagers „HASAG-Leipzig“, des größten Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald. An das Lager und die über 5000 dort inhaftierten Frauen und Mädchen erinnert jedoch nur eine kleine Gedenktafel, die vom VVN-BdA Leipzig aufgestellt wurde. Sie wurde in den vergangenen Jahren immer wieder zerstört. Bei einer Gedenkveranstaltung 2009 teilte die Polizei den Veranstalter*innen mit, dass es besser wäre, die Gedenktafel und die niedergelegten Blumen wieder mitzunehmen, da der Eigentümer des Geländes ein Problem mit der Aktion hätte. Der Eigentümer selbst war vor Ort und versuchte, mit einem T-Shirt, das mit neonazistischer Symbolik bedruckt war, zur Gedenkveranstaltung zu gelangen, was die Polizei allerdings verhinderte.

Heute wird dieser Gebäudekomplex, der sich seit 2007 im Besitz eines Neonazis befindet, weiterhin von organisierten, militanten Neonazis genutzt, die dort mutmaßlich für den Straßenkampf trainieren. Seit 2008 fanden in der Kamenzer Straße auch immer wieder Rechtsrockkonzerte statt. Dieser Verhöhnung der Opfer wird seit nunmehr 13 Jahren von offizieller Seite stillschweigend zugesehen. Zwar führt das Land Sachsen den Gebäudekomplex als „rechtsextremistisch genutzte Immobilie“, doch scheint es so als würde die Landesregierung diesen Zusammenhang wahlweise nicht sehen wollen oder ihn geflissentlich ignorieren. Auch der Verfassungsschutz Sachsen wird seinem Ruf, auf dem rechten Auge blind zu sein, in diesem Zusammenhang wieder einmal mehr als gerecht. In den letzten Jahren tauchten die dortigen Umtriebe nur ein einziges Mal im Verfassungsschutzbericht auf: Und dies nur im Zusammenhang mit einer Kundgebung gegen die neonazistische Nutzung dieses Gebäudekomplexes, die der VS als „linksextremistisch beeinflusst“ betrachtet.

Wir forden ein würdiges Gedenken in der Kamenzer Straße. Dies ist nur möglich, wenn die derzeitige Nutzung auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers beendet wird.

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Plakataktion zum Gedenken an Orte der Zwangsarbeit in Leipzig

Wir dokumentieren hier einen am 06.02. erschienen Beitrag mit dem Titel „Kein Vergeben – Kein Vergessen – Plakataktion zum Gedenken an Orte der Zwangsarbeit in Leipzig“ (https://de.indymedia.org/node/63942).

Am 27.01.2020 machten zahlreiche Plakate im Leipziger Stadtbild darauf aufmerksam, dass es auch 75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz nicht ausreicht, nur „nicht vergessen zu haben.“ Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Aus diesem Grund wurde auf den Plakaten unter anderem an die immer sichtbar gewesene Geschichte der Zwangsarbeit in Leipzig erinnert und die Profiteure der Zwangsarbeit aufgefordert ihre Verstrickungen in die NS-Verbrechen aufarbeiten.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Seit 1996 wird an diesem Tag bundesweit den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Die Stadt Leipzig erinnert ihrerseits durch eine offizielle Gedenkveranstaltung an dem „Mahnmal in Abtnaundorf“ an die Lagerbefreiung.

Mit der Befreiung von Auschwitz waren die Gräueltaten der Deutschen keineswegs vorbei, durch den Wegfall der Vernichtungslager in Osteuropa wurde die systematische Ermordung von Menschen auf deutschem Boden intensiviert. Zum letzten Kapitel der deutschen Barbarei sind u.a die sogenannten Kriegsendphaseverbrechen zu zählen. Hierunter fällt neben den sogenannten Todesmärschen auch das „Massaker von Abtnaundorf“, bei dem SS- und der Volkssturm kurz vor Einmarsch der US-Armee die zurückgebliebenen ca. 80 Häftlinge des KZ „Leipzig-Thekla“ in eine Baracke einsperrten und diese in Brand schossen.

Doch der Intensivierung der deutschen Vernichtungspolitik, deren Teil auch die 6 Außenlager des KZ Buchenwald in und um Leipzig waren, gingen Jahre der antisemitischen Verfolgungspolitik voraus, die etwa in der Pogromnacht des 9./10. November 1938 gipfelten. Auch in Leipzig wurden unter Beifall und Mitwirkung großer Teile der Bevölkerung jüdische Einrichtungen und Wohnungen angegriffen und geplündert, jüdische Menschen misshandelt, deportiert und ermordet.

Abseits der KZ-Außenlager wurden ZwangsarbeiterInnen in Leipzig in ca. 500 Sammelunterkünften wie Schulen, Turnhallen, Festsälen, Gaststätten, privaten Wohnungen oder Barackenlagern interniert. So wurden von 1939 bis Kriegsende mindestens 60.000 Menschen aus den besetzten Ländern und Regionen nach Leipzig verschleppt und mussten Zwangsarbeit verrichten. ZwangsarbeiterInnen wurden u.a in kleineren Betrieben, Krankenhäusern, bei der Post, der Stadtverwaltung und von der Reichsbahn eingesetzt. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag und war sichtbarer Bestandteil des Stadtbildes.

Auch im Leipziger Osten lassen sich Orte finden, die die alltägliche Präsenz von Zwangsarbeit widerspiegeln. So wurde in der Eisenbahnstraße 131b in den sog. „Rheingold-Festsälen“ ein Kriegsgefangenenlager von der Stadtverwaltung betrieben, dessen Insassen u.a. im Bereich Stadtreinigung und Abfallwirtschaft Zwangsarbeit leisteten. Oder die heutige Wurzner Straße 55, damals das Lager „Ostland“. Hier wurden überwiegend sog. OstarbeiterInnen von der LVB als SchaffnerInnen, KontrolleurInnen oder in der Wartung des ÖPNV ausgebeutet. Beide Beispiele sind exemplarisch für die Verstrickung der Stadt und städtischer Unternehmen mit NS-Zwangsarbeit und zeigten auf, dass Zwangsarbeit für die Leipziger BürgerInnen sichtbar war und es diverse Kontaktpunkte zwischen diesen und den Ausgebeuteten gab.

Ein zentraler Ort im Leipziger Zwangsarbeitssystem war der Eilenburger Bahnhof auf dem Gelände des heutigen Lene-Voigt-Parks. Hier kamen während des Krieges täglich Transporte mit bis zu 1000 Menschen an. Die Deportierten durchliefen anschließend die Riebeckstraße 63 wo sie registriert, medizinisch untersucht und auf die Betriebe verteilt wurden. Arbeitsorte waren beispielsweise die Riebeck-Brauerei, heute Sternburg, und die Karl Krause Maschinenfabrik in Anger-Crottendorf.

Zwangsarbeit war in Leipzig – auch für die Zivilbevölkerung allgegenwärtig. Trotzdem sind die meisten Orte der Verbrechen heute vergessen. Damit das Ausmaß und die Alltäglichkeit von Zwangsarbeit Eingang in das kollektive Gedächtnis der Stadtbevölkerung findet, muss die Geschichte dieser Orte sichtbar gemacht werden.

Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Dies zeigen sowohl die bis heute vorhandenen Lücken in der Erforschung der nationalsozialistischen Verbrechen, als auch die Kontinuitäten antisemitischer, rassistischer, antiziganistischer, homophober Denkweisen innerhalb der Gesellschaft. Welche Gefahr von einem solchen Gedankengut ausgehen kann, zeigen Vorfälle wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle nur zu deutlich. Da nach 1945 plötzlich niemand mehr etwas gewusst oder gesehen haben wollte, blieb auch eine genauere Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Verbreitung von Zwangsarbeit aus. Wir fordern daher, dass über das den ZwangsarbeiterInnen angetane Leid aufgeklärt und ihnen angemessen gedacht wird. Akteure wie die LVB, die Stadtwerke und die Stadtverwaltung müssen ihre Verstrickungen in NS-Verbrechen aufarbeiten und diese in die städtische Erinnerungskultur hineintragen. Erinnern muss mehr bedeuten, als nur „nicht vergessen zu haben“. Erinnerung darf nicht im historischen Rückblick erstarren, sondern muss diesen Rückblick mit politischen Forderungen an die Gegenwart verknüpfen.

75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz gilt es um so vehementer an Adornos kategorischen Imperativ zu erinnern: dass Denken und Handeln so einzurichten sei, dass Auschwitz sich nicht wiederhole und nichts ähnliches geschehe.

„Kein Vergeben, kein Vergessen!“

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